Deutschlands Wirtschaft erholt sich nicht. Das sorgt inzwischen auch bei den europäischen Nachbarländern für Alarm. Denn der Ausfall der Wirtschaftslokomotive Deutschland macht sich auch in deren wirtschaftlichen Erfolgen negativ bemerkbar.
BSZ: Herr Friedrich, wie bewerten Sie die globale politische und wirtschaftliche Entwicklung?
Ingo Friedrich (kleines Foto): Das globale politische und wirtschaftliche Gesamtklima wird rauer und unberechenbarer. Autokraten, Rabauken und Egomanen wie Putin, Erdogan oder Xi in China, aber auch Trump in Amerika halten mit ihren Aktionen und Ankündigungen die Welt in Atem. Statt einer regelbasierten Ordnung wird von diesen Akteuren wieder das „Recht des Stärkeren“ praktiziert. Und das hat Folgen.
BSZ: Auf was muss sich Europa einstellen?
Friedrich: Es ist zu befürchten, dass diese neue aggressive Form des Umgangs mit seinen Partnern und Nachbarn zu einer Periode von Unordnung, ja sogar zu chaotischen Verhältnissen führt. Solche Perioden verursachen ziemlich schnell erhebliche Kosten und Probleme für alle Beteiligten – auch für die Stärkeren! Deswegen wird eine solche Umbruchzeit auch mal wieder vorbeigehen, wenn alle daraus gelernt haben. Für diese Periode der Unsicherheit aber muss sich Europa jetzt vorbereiten, ja wappnen. Das bedeutet konkret mehr eigene Stärke Europas und mehr Zusammenarbeit in allen wirtschaftlichen und militärischen Belangen.
BSZ: Sind die europäischen Staaten aus Ihrer Sicht überhaupt zur Kooperation fähig, oder sucht jeder nur nach seinem Vorteil?
Friedrich: Ich glaube Europa kann und wird entschlossen handeln! Die Herausforderungen sind einfach zu groß. Die Lage erfordert zwingend eine gemeinsame Antwort. Wie anders als gemeinsam soll denn auf neue Zölle von Trump oder auf Drohungen von Putin reagiert werden? Das Europäische Parlament ist nach der letzten Wahl handlungsfähig und die „üblichen“ Abweichler im Europäischen Ministerrat – Stichwort: Orban – haben es nie zu weit kommen lassen. Auch Giorgia Meloni aus Italien fährt einen grosso modo akzeptablen Kurs. Natürlich könnte eine Wahl von Le Pen in Frankreich noch einmal „Sand ins Getriebe“ streuen, aber, siehe Meloni, letztlich sind die Fakten zu eindeutig.
BSZ: Deutschlands Wirtschaft muss wieder in Schwung kommen. Ist dazu eine Stärkung der Binnennachfrage über niedrigere Steuern und Abgaben, wie das in den USA seit Jahren praktiziert wird, ein Weg?
Friedrich: Auf jeden Fall, die Binnennachfrage im europäischen Binnenmarkt muss inflationsneutral angekurbelt werden. Die drei Hauptprobleme der Wirtschaft lauten heute Bürokratie, Energiekosten und Fachkräftemangel. In allen drei Bereichen muss von der neuen Regierung dringend umgesteuert werden. Nehmen wir nur das Beispiel Bürokratie: Die Ampel-Regierung hat in ihrer Zeit 19 000 neue Beamtenstellen allein in den Ministerien geschaffen, wer soll das bezahlen? Und: Das Lieferkettengesetz und die neue Nachhaltigkeitsberichtspflichten wirken für viele Betriebe nahezu strangulierend. Vor diesem Hintergrund sind die derzeitigen Steuerlasten gerade vom Mittelstand nicht mehr zu stemmen.
BSZ: Die großen Absatzmärkte wie China und USA werden für deutsche Unternehmen immer schwieriger. Ist das Mercosur-Abkommen die Rettung?
Friedrich: In Bezug auf diese beiden Großmärkte macht sich unsere gesunkene Wettbewerbsfähigkeit fast brutal bemerkbar. Deswegen muss in Deutschland und Europa jetzt die Wiedererlangung der globalen Wettbewerbsfähigkeit absolute Priorität bekommen. Neben den bereits genannten Aspekten zur wirtschaftlichen Belebung und Verbesserung der Entfaltungsmöglichkeiten der Unternehmen ist deshalb noch zweierlei nötig: Die Motivation der nachwachsenden jungen Generation, sich wirklich voll einzubringen, muss gestärkt werden und die Lebensarbeitszeit muss tendenziell verlängert werden. Konkret heißt das Letztere, dass je nach körperlicher und geistiger Fitness der Beginn der Rente individuell variieren sollte. Anreize zum länger Arbeiten sind dabei das richtige Instrument.
BSZ: Hat Europa eigentlich so etwas wie eine eigene Botschaft, wofür sozusagen Europa steht?
Friedrich: Ja, der offizielle „Wappenspruch“ Europas lautet: „In Vielfalt geeint“. Wir sollten diesen Grundgedanken aber heute konkretisieren und der Welt sagen: Europa bedeutet: Freiheit, Frieden, Menschenrechte und Wohlstand für alle Menschen. Das ist unsere Vision für uns Europäer und die Welt. (Interview: Ralph Schweinfurth)
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