Wirtschaft

In so manch einem Biergarten in Bayern sind die meisten Tische nicht mehr eingedeckt. (Foto: Schweinfurth)

28.06.2024

"Die Bundesregierung ist ein unkalkulierbares Risiko"

Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands, über die Folgen der Rückkehr zu 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen und Getränke

Seit 1. Januar dieses Jahres müssen in der Gastronomie wieder 19 Prozent Mehrwertsteuer gezahlt werden. Da nun ein halbes Jahr vorüber ist, ist es Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Viele Betriebe kämpfen mit Erlös- und Umsatzeinbußen.

BSZ: Herr Geppert, wie hat sich die Rückkehr zu 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen in der bayerischen Gastronomie ausgewirkt?
Thomas Geppert: Es gibt 56,3 Prozent weniger Gäste, was zu Ertragsrückgängen von 53,7 Prozent und zu Umsatzrückgängen von 48,5 Prozent führt. Der Durchschnittsbon ist mit minus 32,9 Prozent deutlich geringer.

BSZ: Das heißt?
Geppert: Die Menschen verzichten auf Vor- oder Nachspeise oder suchen günstige Gerichte auf der Karte. Insgesamt gehen die Menschen seltener essen.

BSZ: Gibt es mehr Gaststättenschließungen beziehungsweise Pleiten?
Geppert: Die Zahlen des Statistischen Landesamts hinken leider immer Jahre hinterher. Aber wir stellen bei unseren Mitgliedschaften einen deutlichen Anstieg bei den sogenannten betriebsbedingten Kündigungen fest. Diese setzen eine Gewerbeabmeldung voraus. Dieses Bild scheint sich auch bei einem Blick in das Land zu bestätigen, jeder kennt in seinem persönlichen Umfeld Betriebe, die dieses Jahr geschlossen haben.

BSZ: Ist das schon das Ende der Fahnenstange?
Geppert: Nein, wir fürchten, dass wir noch nicht die Spitze der Schließungen überschritten haben, sondern das Gros erst Ende des Jahres oder im nächsten Jahr auf uns zukommen wird. Unsere Hochrechnungen gehen von den rund 39.700 Betrieben in Bayern aus, dass etwa 2400 schließen müssen.

BSZ: Und das wegen der Mehrwertsteuererhöhung?
Geppert: Ja, es ist zudem eine Mischung aus Negativfaktoren. Die Mehrwertsteuererhöhung ist nur ein Posten. Darüber hinaus sind die Personalkosten gestiegen, die ungefähr 40 Prozent der Kosten in den Betrieben ausmachen. Gastronomie ist sehr personalintensiv. Berechnungen zeigen, dass in der Gastronomie sechsmal mehr Personal eingesetzt werden muss als im Einzelhandel, um den gleichen Umsatz zu erwirtschaften. Aber auch alle anderen Kosten wie Energie- und Lebensmittelpreise sind deutlich gestiegen.

BSZ: Aber ohne Personal geht’s nicht.
Geppert: Richtig. Also müssen die Betriebe genau kalkulieren. Zudem wäre es endlich an der Zeit, dass die Bundesregierung mehr Flexibilität zulässt durch Umstellung auf eine gesetzliche Wochenarbeitszeit, so wie die EU es vorsieht. Damit kann man gerade den weniger homeofficefähigen Berufen Attraktivität verleihen. Das erwarten die Mitarbeiter. Zudem kostet die Maßnahmen dem Staat keinen Cent. Der Spruch „Wer nix wird, wird Wirt“ kann falscher gar nicht sein. Ein Gastronom muss genau rechnen können. Eventuell muss er einen Ruhetag mehr einlegen, um die Kosten im Griff zu halten. Oder er muss ganz genau seine Speisekarte gestalten, wissen, was die Renner sind und eventuell kaum nachgefragte Gerichte ganz streichen.

BSZ: Könnten Betriebe wieder mehr Gäste anlocken, wenn sie Aktionen wie „günstiger Montag“ oder Selbstabholen von Speisen und Gertränken am Tresen einführen?
Geppert: Das wäre genau die falsche Strategie, denn dann würden Umsatz und Ertrag noch weiter zurückgehen. Die Anzahl der Gäste ist noch da, aber der Ertrag reicht nicht mehr.

BSZ: Was müsste der Bund tun, um der Gastronomie zu helfen?
Geppert: Neben einer steuerlichen Gleichbehandlung von Essen mit 7 Prozent, egal wo gekauft und wie gegessen, sollte wieder Vertrauen in das Unternehmertum aufgebaut werden. Es ist der Mittelstand, der Deutschland großgemacht hat. Er braucht verlässliche Rahmenbedingungen und vor allem Planbarkeit. Sprich, man muss ganz viel Bürokratie abbauen, dann können die Betriebe wieder Gewinne erzielen und Steuern zahlen.

BSZ: Von denen ja der Staat alimentiert wird.
Geppert: Richtig. Nur das scheint man auf Bundesebene vergessen zu haben, dass Politiker, Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst aus Steuereinnahmen finanziert werden. Für uns ist die Bundesregierung ein unkalkulierbares Risiko. Denn sie sorgt mit ihrem Hü und Hott für Planungsunsicherheit und mehr Verpackungsmüll.

BSZ: Wie denn das?
Geppert: Indem auf Speisen, die aus den Gaststätten mitgenommen werden können, also to go, nur 7 Prozent Mehrwertsteuer fällig sind. Das sorgt für enorme Mengen an Plastikmüll. Etwas, was man eigentlich gar nicht will.

BSZ: Wie kann der Freistaat helfen?
Geppert: Durch eine Wiederaufnahme des Gaststättenmodernisierungsprogramms. Man muss sich im Klaren sein, dass die 19 Prozent Mehrwertsteuer den Betrieben 70 Prozent der Investitionsfähigkeit kostet. Wenn aber investiert werden könnte, kämen auch wieder mehr Gäste, was zu mehr Einnahmen und zu mehr Steuern führen würde.

BSZ: In was müsste investiert werden?
Geppert: In die Zukunftsfähigkeit der Betriebe: Ausstattung, Digitalisierung, moderne Energiesysteme wie zum Beispiel in Solaranlagen oder moderne Heizungen, um die hohen Energiekosten, für die im Übrigen auch die Bundesregierung verantwortlich ist, in den Griff zu kriegen.

BSZ: Können auch Verpächter den Gastronomen helfen?
Geppert: Bedingt. Auf jeden Fall sollten beide Seiten in intensivem Austausch bleiben.

BSZ: Was passiert, wenn Gaststätten für immer schließen müssen?
Geppert: In der Münchner Innenstadt oder in den Zentren der anderen bayerischen Großstädte findet sich wahrscheinlich jemand, der dort wieder eine Gaststätte eröffnet. Am Land hat das eine ganz fatale Wirkung. Gaststätten sind die Grundvoraussetzung für die Leitökonomie Tourismus. Auch um ein Ortszentrum zu beleben, braucht man Gastronomie, weil sonst die Menschen ausbleiben. Das kann ich in meiner Heimat Bad Aibling ganz deutlich beobachten. Aber ans Extrem will ich gar nicht denken.

BSZ: Was wäre das?
Geppert: Dass wir US-amerikanische Verhältnisse bekommen. Dann gibt es an Hotspots nur noch Systemgastronomie und gehobene Restaurants für Besserverdienende. Das wäre auch schlecht für den Tourismus. Denn die Gäste aus dem Ausland wollen ins Leben einer Region eintauchen. Resonanztourismus nennt man das. Wenn also irgendwo auf der Welt bayerische Gastronomie nachgebaut wird, wird das niemals das Original sein, weil eben die Menschen aus Bayern fehlen.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

 

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