Herkömmliche Wasseruhren durch Funkende zu ersetzen, sie regelmäßig zu warten und auszulesen, ist ein Riesengeschäft. Das zeigt die im Mai 2017 publizierte „Sektoruntersuchung Submetering“ des Bundeskartellamts. Rund 1,47 Milliarden Euro Umsatzvolumen stellte die Behörde für das ins Visier genommene Jahr 2014 fest – rund ein Drittel davon entfallen auf Warm- und Kaltwasserzähler, der Rest auf Heizkostenzähler. (Foto: dpa)
Theologieprofessor Werner Thiede über ein Gesetzesvorhaben, das Kommunen ermächtigen soll, die Duldung funkender Wasseruhren zu erzwingen
Funkende Wasseruhren sollen im Freistaat geduldet werden müssen. Das sieht eine Änderung der Bayerischen Gemeindeordnung vor. Werner Thiede, Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, beschäftigt sich seit Langem mit Digitalisierung und Mobilfunk. Wir sprachen mit ihm über den Gesetzesentwurf, der nächste Woche in erster Lesung vom Bayerischen Landtag behandelt wird.
BSZ: Herr Thiede, warum beschäftigen Sie sich als Universitätslehrer für Systematische Theologie und Pfarrer mit Funkwasserzählern?
Thiede: Systematische Theologie umfasst Dogmatik und Ethik; als Ethiker und Geistlicher lässt es mich nicht kalt, wenn jetzt ein Gesetz gemacht werden soll, das unserer freiheitlichen Kultur zuwiderläuft: Demzufolge dürfte der Ausstattung elektronischer Wasserzähler mit Funkmodulen von Wohnungsinhabern nicht mehr widersprochen werden. Für diesen problematischen Zweck müssen werden: auf die Freiheit der Person und auf die Unverletzlichkeit der Wohnung. Dabei versteht sich gerade der Grundgesetzartikel 13 als Abwehr-Recht, und er lässt meines Ermessens gemäß Absatz 7 eine Einschränkung der Unverletzlichkeit der Wohnung ausdrücklich nur für lebensbedrohliche oder katastrophenartige Ausnahmefälle zu.
BSZ: Geht es Ihnen also um Einhaltung des Grundgesetzes?
Thiede: Ja, aber ethisch um noch mehr: Es dreht sich letztlich um nicht weniger als um die Aushebelung von Menschenrecht. So heißt es in Artikel 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, niemand dürfe willkürlichen Eingriffen in seine Wohnung ausgesetzt werden. Häufige, raumgreifende Funkimpulse, die die öffentliche Hand dann in den privaten Bereich hineinzwingen dürfte, stellen nach meiner Überzeugung solch einen willkürlichen Eingriff dar. Christliche Ethik sollte protestieren, wenn ein Gesetz gemacht wird, das in bestimmter Hinsicht totalitäre Züge trägt.
BSZ: Aber bleibt es dem Gesetzesentwurf nach nicht dem Ermessen der Gemeinden überlassen, ob sie von der künftigen Ermächtigungsgrundlage überhaupt Gebrauch machen wollen – und ob dann elektronische Wasserzähler mit oder ohne Funkmodul zum Einsatz kommen?
Thiede: Dem ist entgegenzuhalten, dass dieses Gesetzesvorhaben genau dem Willen von Industrie und Wasserfirmen entspricht, indem es eine bequeme technizistische Lösung durchsetzt. Etliche Gemeinden bemühen sich längst, entsprechend vorzugehen: Sie wollen nur zu gern die alle paar Sekunden funkenden Wasserzähler einbauen!Würde ihnen das Gesetz im Landtag Tor und Tür öffnen, ginge das auf Kosten eines effektiven Daten- als auch Strahlenschutzes – und auf Kosten der Datensicherheit, denn wer glaubt heutzutage noch ernsthaft, dass Hacker-Angriffe tatsächlich verlässlich ausgebremst werden können?
BSZ: Was den Strahlenschutz angeht, gibt es doch aber klare staatliche Konzepte und schützende Grenzwerte. Wird nicht gesagt, bei Funkwasserzählern würden die für Mobilfunkanlagen geltenden Grenzwerte weit unterschritten, da die Sendeleistung um den Faktor 200 geringer sei?
Thiede: Die Mobilfunk-Grenzwerte sind extrem hoch angesetzt – und entsprechend umstritten. Deshalb ist ihre „Unterschreitung“ um den Faktor 200 für Kenner keineswegs beruhigend. Wenn Bürgerinnen und Bürger sich vorsorglich an Empfehlungen von Umweltärzten und Baubiologen orientieren wollen, sollen sie darauf künftig nicht einmal mehr in ihrer Wohnung Anspruch haben? Aus gutem Grund hat schon 2016 der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland gefordert: Es muss ein Rechtsanspruch auf die Verweigerung zum Einbau funkbasierter intelligenter Messtechnik sichergestellt werden.
BSZ: Können aber nicht nach Einschätzung des bayerischen Gesundheitsministeriums gesundheitliche Risiken durch elektromagnetische Felder von Funkwasserzählern ausgeschlossen werden?
Thiede: Die amtliche Einschätzung ist eben nur eine Schätzung. Der Medizinphysiker Lebrecht von Klitzing beispielsweise warnt dagegen vor der Langzeitwirkung dieser ständigen elektromagnetischen Impulse. Spätestens dort, wo Menschen auf derselben Stockwerk-Ebene mit solch einem Funkmodul übernachteten, könnten sie von den Auswirkungen betroffen sein. Der Gesetzesentwurf in seiner jetzigen Gestalt kennt aber keine Ausnahmeregelungen, auch nicht für Elektrosensible.
BSZ: Steht nicht solchen Menschen unmittelbar aus Artikel 21 Absatz 1 Satz 1 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ein Widerspruchsrecht zu, das Gründe verlangt, die sich aus ihrer besonderen Situation ergeben?
Thiede: Dazu finde ich im Internet eine aufschlussreiche briefliche Äußerung des Landesbeauftragten für den Datenschutz Thomas Petri, wonach diese Vorschrift weder rechtssicher handhabbar noch tatbestandsmäßig mit einem allgemeinen Widerspruchsrecht vergleichbar ist.
BSZ: Was würden Sie den Abgeordneten also raten?
Thiede: Der bayerische Landtag ist von mir und vielen anderen aufgerufen, hier ganz besonders genau zu überlegen. Würde dieses Gesetz unverändert beschlossen, dürfte es die Staatsverdrossenheit im Land mehren und noch dazu eine ungute Vorbildfunktion für andere Bundesländer haben. Der Schaden wäre unabsehbar groß. Schon vor Jahren habe ich in meinen Büchern Die digitalisierte Freiheit und Mythos Mobilfunk vor dieser Entwicklung ge-warnt. Ich hoffe sehr, dass sich noch genügend Abgeordnete finden, die für ein rechtzeitiges Umdenken offen sind. Ein ausdrückliches Widerspruchsrecht oder ein Recht zum Bestehen auf technische Alternativlösungen in die Bayerische Gemeindeordnung aufzunehmen, stünde dem Freistaat gut an.
(Interview: Ralph Schweinfurth)
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