Er kommt aus dem Handwerk. Bis zu seiner Wahl im Jahr 2014 führte der Erste Bürgermeister der kleinen Stadt Viechtach mit ihren etwas über 9000 Einwohnern erfolgreich seinen Familienbetrieb im Bereich Heizungs- und Sanitäranlagen mit rund 25 Mitarbeitern. Franz Wittmann (CSU) weiß, welche Sorgen sie haben, aber auch welches Potenzial in den Menschen des Bayerischen Waldes steckt. „Es war die Zeit Anfang der Sechziger Jahre“, sagt er, selbst Jahrgang 1963. „Immer mehr Bauern mussten ihre Betriebe aufgeben, wurden zu Nebenerwerbslandwirten, suchten und fanden Arbeit in Industrie und Gewerbe, meist weit von ihrem Heimatort entfernt. Sie pendelten nach Deggendorf, Regensburg, ja bis in den Raum München. Nicht so in Viechtach, damals noch Zentrum des gleichnamigen Landkreises, seit der Gebietsreform 1972 zum Kreis Regen gehörig. Zahlreiche kleine, mittlere und zwei Großbetriebe siedelten sich an: die Unternehmensgruppe Rehau AG mit weltweit 20 000, rund 1050 in Viechtach und die Linhardt-Gruppe mit insgesamt rund 1100 Mitarbeitern, 650 davon am gleichen Standort.
Großunternehmen investieren weiter
Beide Großunternehmen, international tätig, investieren weiter kräftig am Standort Viechtach. Rund 6000 Arbeitsplätze bietet die Stadt. „Es wird schon lange nicht mehr aus-, sondern eingependelt“, sagt der Bürgermeister und ist stolz auf seine Mitbürger und die Unternehmen, mit denen er von Anfang an intensiven Kontakt pflegt. In den letzten zwei Jahren ist die Zahl der Einwohner entgegen dem Trend rings im Bayerischen Wald um etwa 500 gestiegen. Als eine „Insel des Wachstums“ bezeichnet Franz Wittmann die Stadt Viechtach. Und ganz besonders freut es ihn, wenn einstige Viechtacher, überall verstreut da draußen in der Welt, wieder zurückkommen in die alte Heimat, die kleine Stadt am „Schwarzen Regen“, nahe am Großen und Kleinen Pfahl“, einer seltenen Quarzstein-Formation, dem nötigen Material für die Glasindustrie.
Ein unverbesserlicher Wiederholungstäter
Kaum ein unverbesserlicher, als Wiederholungstäter von der besseren Ehehälfte entlarvter Mann, der seine Zahnpasta-Tube mit Druck auf deren Mitte, nicht von unten, wie vorgeschrieben, benutzt, wird bei der fälligen Belehrung daran denken: Mit einiger Wahrscheinlichkeit wurde diese Tube im niederbayerischen Viechtach im Landkreis Regen, gefertigt. Außer er kommt aus eben dieser kleinen Stadt oder ist gar einer von rund 600 Linhardt-Mitarbeitern, die am Hauptstandort der Unternehmensgruppe beschäftigt sind. Schon seit dem Jahr 1943, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, ist die Firma in Viechtach ansässig. Heute produzieren hochqualifizierte Mitarbeiter an den fünf Standorten Viechtach, Hambrücken (Baden-Württemberg), Pausa in Sachsen, in Ägyptens Hauptstadt Kairo, im russischen Bijsk und in Mailand (Verkaufsbüro) mehr als täglich mehr als drei Millionen Verpackungsmittel: Tuben aus Aluminium und Kunststoff, Multiflex-Tuben (Verbund), Aluminiumdosen und -röhrchen, Aerosoldosen, Zigarrenhülsen, Marker und Applikationsstifte sowie Aluminium-Formteile und individuelle Verpackungsformen. Zusatzleistungen sind Werkzeugbau, Druckvorstufe, Artwork/Grafik, Konfektionierung von Verpackungssystemen sowie Forschung & Entwicklung. Die Jahresproduktion: mehr als eine Milliarde Packmittel. Der Umsatz 2015 betrug wie im Jahr zuvor 145 Millionen Euro.
Dank der auch weiter ungebrochenen Nachfrage nach Spraydosen aus Aluminium investiert das Unternehmen in diesem Jahr 8,1 Millionen Euro in eine neue Maschinenlinie. Trotz der politischen Wirren haben sich die Werke in Russland und Ägypten gut entwickelt. In Bijsk sorgte wegen der Wirtschaftssanktionen gegen Russland eine erhöhte Inlandsnachfrage für positive Zahlen. In Ägypten, bei der in Kairo ansässigen Tochterfirma „New Hover“ mit 180 Beschäftigten, erlangte Linhardt die Anteilsmehrheit und plant eine Erweiterung. Rund die Hälfte der Produktion machen Aluminium-Tuben aus, so die langjährige Geschäftsführerin Dr. Monika Kopra-Schäfer. Sie hat mit Erhard Krauß wieder einen zweiten Geschäftsführer, zuständig für die Bereiche Technologie und Produktion, an ihrer Seite. Bereichsleiter Forschung & Entwicklung ist Johann G. Beil.
Kunden aus der pharmazeutischen Industrie
Etwa 46 Prozent des Gesamtumsatzes macht das Unternehmen in Deutschland, 40 Prozent im Euro-Raum und etwa 14 Prozent im weiteren Ausland. Eine große Anzahl der deutschen Kunden, vor allem aus der pharmazeutischen Industrie, exportieren die Verpackungen von Linhardt nach deren Befüllung. Die Branchen Pharma, Kosmetik und Lebensmittel machen jeweils ein Drittel des Umsatzes aus mit leichtem Vorsprung bei den Pharma-Kunden.
Schon in den 50er Jahren hat sich das 1948 von Helmut Wagner in Rehau/Oberfranken gegründete Unternehmen in der Branche Polymerverarbeitung erfolgreich in Deutschland und den umliegenden westlichen Ländern etabliert. Eine frühe Ausbreitung in ganz Europa, schließlich die Expansion nach Nord/Südamerika und Asien/Australien folgte. Heute ist Rehau weltweit in über 60 Ländern vertreten. Für den Bau bietet Rehau Fenster- und Fassadentechnik, Gebäudetechnik von der Heizung über die Wasserleitung bis hin zur Elektrotechnik, weiter für den Tiefbau Rohrsysteme zur Abwasser- und Wasserwirtschaft, für den Verkehrswegebau und im Bereich Telekommunikation. Mehr als 15 000 unterschiedliche Designs für Oberflächen in der Möbelindustrie gibt es bereits und 1000 kommen jedes Jahr hinzu. Im Automobilbereich ist Rehau Entwicklungspartner für alle großen Autobauer, so beispielsweise Stoßfängersysteme. Jedes dritte in Europa hergestellte Fahrzeug besitzt Systemlösungen von Rehau. Für die Industrie hat Rehau anspruchsvolle Lösungen in einer Vielzahl von Branchen – von der Hausgeräte- bis zur Luftfahrtindustrie. Mit rund 100 Patentanmeldungen pro Jahr zählt Rehau zu den „Top-50-Patentanmeldern“ in Deutschland.
Hochmoderne Produktionsstätte
Eindrucksvolle Zahlen: In Deutschland hat die Firmengruppe 16 Verkaufsbüros, elf Werke, zwei Verwaltungen und drei Logistikcenter. In Europa gibt es mehr als 100 Standorte, über 20 Werke und mehr als 80 Verkaufsbüros, weltweit über 170 Standorte, über 40 Werke, mehr als 110 Verkaufsbüros. Der Umsatz 2015 betrug bei der Rehau-Gruppe knapp 3,3 Milliarden Euro, 7,3 Prozent mehr als im Jahr davor. Weltweit hat Rehau rund 20.000, in Europa davon 12.000, in Deutschland alleine 8000 Mitarbeiter.
Die Geburtsstunde für den Rehau-Standort Viechtach schlug 1960. Heute wie damals sind, so Geschäftsführer Albert Dirnberger, in Werk 5 Rohre der Schwerpunkt der Produktion. Daneben betreibt Rehau im Werk 11 mit Werkleiter Stefan Tetek seit 1987 eine große, hochmoderne Produktionsstätte, in der ausschließlich Teile für die Autoindustrie gefertigt werden. 2015 kündigte Rehau eine Investition von 50 Millionen Euro im Werk 11 an: Anfang 2017 soll der Bau der innovativen und umweltfreundlichen Anlage abgeschlossen sein. Hier lackiert Rehau überwiegend Stoßfänger und Spoiler für namhafte Kunden wie die VW-Gruppe, BMW und andere. Im November 2014 eröffnete das Unternehmen am Standort Viechtach ein firmeneigenes Leichtbautechnikum, das zu Forschungszwecken im Bereich neuer Technologien für die Autoindustrie genutzt wird: Saubere Antriebstechniken heißt das Ziel, Wasserstoff eine vielversprechende Option für Langstrecken, wird in einer Brennstoffzelle in Strom umgewandelt. Notwendig sind dafür hoch sichere Speicher- und Transportsysteme, wofür Rehau spezielle Tanks entwickelt. 600 Mitarbeiter sind im Werk 11 für Rehau tätig, rund 450 in Werk 5. 18 Ausbildungsberufe bietet Rehau den derzeit weit über 600 aktuell tätigen Auszubildenden in Deutschland, knapp 200 kommen jährlich hinzu – und sie können mit einiger Sicherheit rechnen, übernommen zu werden.
Aufträge an Betriebe in der Region vergeben
Ein starkes „Wir-Gefühl“ besteht laut Werkleiter Stefan Tetek und Bürgermeister Franz Wittmann, eine Verbundenheit mit den Menschen von Stadt und Umkreis. Die Aktivitäten des Unternehmens, das wie Linhard Aufträge fast ausschließlich an regionale Firmen und Handwerksbetriebe vergibt, sind ein Segen für die ganze Region.
Nicht nur die Industrie, auch der Tourismus, die zweite große wirtschaftliche Säule in und um Viechtach, so der Bürgermeister, erfordere große Aufmerksamkeit und vor allem, wie auch die Leiter beider großen Unternehmen betonen, eine stete Verbesserung der Infrastruktur. Das bedeute die Erweiterung der Gewerbegebiete, die Ausweisung neuer Baugebiete, vor allem aber auch Verbesserungen der Verkehrsanbindungen – Wiederaufnahme der Bahnstrecke nach Deggendorf/Plattling, Ausbau der Bundesstraßen 85 und 11. Zusammen mit dem Bürgermeister – „wir haben unsere Hausaufgaben gemacht“ – unterstützen sie das Bemühen um eine Zweigstelle der Hochschule Deggendorf und die Einrichtung weiterer staatlicher Stellen. „Mehr Vehemenz“ fordern Monika Kopra-Schäfer von Linhardt, Albert Dirnberger und Stefan Tetek von Rehau von den niederbayerischen Volksvertretern in Land und Bund. Stefan Tetek drückte zusammen mit seinem jetzigen Bürgermeister Franz Wittmann die Schulbank und als Viechtacher sagen sie unisono: „Viechtach soll und will weiter wachsen“.
(Hermann Höcherl)
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