Pioniergeist und Ingenieurwissen haben die Medizintechniksparte der Siemens AG seit jeher ausgezeichnet – und finden sich nun in der weltweit dominierenden Marke „Healthineers“ wieder. Was Bernd Montag, Vorsitzender der Geschäftsführung der Siemens Healthcare GmbH, als „mutiges Signal“ verstanden wissen wollte, ist allerdings in Erlangen und Forchheim bei vielen der rund 10 000 unter den weltweit 45 000 Mitarbeitern auf ein geteiltes Echo gestoßen. Die Süddeutsche Zeitung registrierte Fassungslosigkeit über einen Namen, der „mehr nach Kindergartengruppe als nach seriösem Geschäft klingt“.
Dem Standort Erlangen treu
Verbunden wurde die Vorstellung des neuen Logos, das den Auftritt der Sparte bei allen Geschäften in Zukunft dominieren soll, mit der Grundsteinlegung für die neue viergeschossige Hauptverwaltung. Sie wird mit Platz für bis zu 1000 Mitarbeiter im dritten Quartal 2017 fertiggestellt. Das Headquarter entsteht direkt hinter dem bisherigen 14-stöckigen Hochhaus, das 2018 abgerissen wird, und symbolisiert die unverbrüchliche Treue zum Standort Erlangen. Dieser stand schon einmal auf der Kippe, als es um den Sitz der neuen Fabrik für Magnetresonanztomographen ging. Quasi im letzten Moment wurde – unter dem damaligen Konzernchef Heinrich von Pierer in Übereinstimmung mit den Belegschaftsvertretern – der Standort für das 200-Millionen-DM-Projekt vom ursprünglich fest geplanten England doch noch nach Erlangen umgepolt und damit im Jahr 2000 auch die Keimzelle für das Medical Valley EMR geschaffen. Zuvor hatte der damalige, für das Medizintechnik-Geschäft verantwortliche Vorstand Professor Erich R. Reinhardt die für viele Analysten vor dem Verkauf stehende Gesundheitssparte neu strukturiert und für die Zukunft fit gemacht.
Heute ist die Medizintechnik die Ertragsperle der Siemens AG – am 1. Mai 2015 in eine eigenständige Tochtergesellschaft umgewandelt. Sie erreichte im letzten Geschäftsjahr 2014/2015 einen Umsatz von 12,9 Milliarden Euro und – was noch wichtiger ist – ein Ergebnis von 2,2 Milliarden Euro. Die Marge von 16,9 Prozent ist unter allen Divisionen Spitze im Konzern, zumal der Auftragseingang von 13,3 Milliarden Euro (plus zehn Prozent) die Konstanz bestätigt. Das Wachstum wurde erneut von den Schwellenländern getragen, die unverändert ihre Gesundheitsinfrastruktur und den Zugang zu moderner Medizintechnik für ihre wachsende Bevölkerung ausbauten. Die Marktentwicklung in den Industrieländern zeigte sich dagegen schwach, ausgelöst durch Gesundheitsreformen und Budgetbeschränkungen.
Aufgestellt ist Siemens Healthcare, das in Deutschland neben Erlangen und Forchheim auch in Rudolstadt, Kemnath und Marburg produziert, in sechs Geschäftsfeldern (Bildgebung mit den Magnetresonanztomographen in Erlangen und den Computertomographen in Forchheim, Ultraschall, Therapie, Labordiagnostik, Kleingeräte und Service). Sie sollen den Kunden umfassende medizinische Lösungen entlang der Behandlungskette bieten: von der Prävention und Früherkennung über die Diagnose bis zur Therapie und Nachsorge.
Grenzen zwischen Herstellern und Nutzern verschwimmen
Mit der Verselbstständigung hat Siemens auf den Umstand reagiert, dass die Grenzen zwischen reinen Technikausrüstern und Dienstleistern, zwischen Geräteherstellern und -nutzern verschwimmen. Siemens-Chef Joe Kaeser: „Wir wollen damit effizienter auf Trends und die zu erwartenden Paradigmenwechsel in der Branche reagieren können.“ Siemens will mit Healthineers das veränderte Kundenverhalten der Gesundheitsversorger weltweit nutzen. Immer mehr Kliniken und Labore schließen sich – das zeigt vor allem der gigantische Markt in den USA – zu großen Ketten und Netzwerken zusammen. Montag: „Diese Großkunden haben ganz andere Bedürfnisse und Möglichkeiten als das kleine Krankenhaus auf dem Land. Und: Der Fokus verlagert sich vom Behandeln zum Vermeiden von Krankheiten und unnötigen Behandlungsschritten.“ Für den CEO sind deshalb Therapie, molekulare Diagnostik und Services Wachstumsfelder. Sein Unternehmen sieht er bereits heute als „größten medizinischen Infrastrukturanbieter der Welt“.
Die Digitalisierung eröffnet dabei durch die Erhebung und die intelligente Analyse von Daten ganz neue Möglichkeiten für die Steuerung von Prozessen – und damit Chancen. Kaeser: „Wir sind schon längst dort, wo die anderen gerne hin möchten: in den Krankenhäusern. Der vermehrte Einsatz von Molekulardiagnostik und anderen Biowissenschaften wird neben der traditionellen Gerätemedizin an Bedeutung gewinnen.“ Siemens sieht bei diesen Wachstumsfeldern ein jährliches Plus von zehn Prozent. Noch macht die Lieferung der Hardware, also von Ultraschallgeräten, Computer- und Magnetresonanztomographen, den Großteil des Geschäfts aus. Doch die Zukunft gehört langfristigen Serviceverträgen, Beratungsleistungen und der Auswertung der Daten, die die von Siemens gelieferten Großgeräte liefern. Montag vor der Presse: „In jeder Stunde kommen weltweit 200 000 Patienten mit medizinischen Siemens-Apparaten in Kontakt. Das ergibt eine Fülle von Daten, die wir anonymisiert nutzen können, um Klinikbetreibern zu helfen, die Effizienz zu steigern, die Kosten zu senken und die medizinischen Leistungen zu verbessern.“
Firmen leichter übernehmen
Die Umwandlung in eine GmbH hat auch Akquisitionen erleichtert – Firmenübernahmen, die die neuen Geschäftsfelder stärken sollen. So hat Siemens Healthcare im Mai 2016 mit der Übernahme der NEO New Oncology in Köln sein Portfolio für die Diagnostik erweitert. Es soll Pathologen und Onkologen helfen, zielgerichtete Krebstherapien für Patienten auszuwählen. David Stein, Leiter Strategie und Innovation: „Wir steigen damit in ein Feld ein, auf dem wir bisher nicht tätig gewesen sind.“
Beispielgebend für die neue Unternehmenstrategie ist ein Projekt bei Groningen/Niederlande, wo für 110 Millionen Euro ein neues Krankenhaus entsteht. Dort ist Siemens vom Betreiber quasi als Generalunternehmer engagiert worden, liefert also nicht nur die Geräte, sondern ist ebenso für die Wartung, Gebäuderenovierung, Personalschulung und Finanzierung verantwortlich. Im Gesundheitssektor wartet also enormes Potential. Der Mitbewerber Fresenius Medical Care hat es vorgemacht und sich vom reinen Hersteller von Dialyse-Geräten zum Komplettanbieter mit eigenen Kliniken entwickelt – mit Erfolg.
(Udo B. Greiner)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!