Wirtschaft

So soll der Siemens Campus in Erlangen einmal aussehen, wenn er 2030 fertig ist. (Foto: Siemens AG)

26.07.2019

Erlangen ringt um Sitz eines Energieriesen

Bei der Headquarter-Standortwahl des künftigen Börsenschwergewichts „Siemens Gas and Power“ liegt auch Berlin in der Lostrommel

Es kommt nicht häufig vor, dass Siemens-Chef Joe Kaeser für eine Talkshow vor Publikum zur Verfügung steht. Bei der Sparkasse in Erlangen stellte er sich zusammen mit Finanzvorstand Prof. Ralf P. Thomas dem Gute-Laune-Onkel des BR-Hörfunks, Thorsten Otto, zum Interview vor über 200 vom Geldinstitut eingeladenen Mittelständlern. So musste er fast ausschließlich nur Fragen zu privaten Befindlichkeiten beantworten. Jene, die derzeit seine Belegschaft am größten Siemens-Standort Erlangen bewegen, blieben außen vor - auch dank der Regelung, dass keine Nachfragen aus dem Publikum gestattet waren.

Dabei bewegt eine bis Ende des Jahres 2019 ausstehende Entscheidung schon heute nicht nur die Lokalpolitik: Wo wird das Headquarter des Geschäftsbereichs „Gas and Power“ (GP) angesiedelt? Dieses war – für 88 000 Mitarbeiter, davon etwa 20000 in Deutschland – bisher im texanischen Houston stationiert, soll nach dem Ausscheiden der US-Amerikanerin Lisa Davis aus dem Vorstand aber wieder nach Deutschland zurückkehren. Damit verbunden ist auch eine „neue Aufstellung“, die - wie in solchen Fällen üblich – erhebliche Einsparungen mit sich bringen soll. Siemens selbst spricht von einer halben Milliarde Euro. Über die nächsten Jahre ist ein Abbau von 2700 Arbeitsplätzen weltweit vorgesehen, 1400 davon in Deutschland. Für den Rest des Gesamtkonzerns geht Siemens im Rahmen des Strategiekonzepts „Vision 2020+“ von einem „Netto-Aufbau“ – so wird der tatsächliche Abbau verbrämt – von rund 10.000 Mitarbeitern aus.

Umsätze um 19 Prozent eingebrochen


Die Umsätze der erweiterten Kraftwerkssparte sind im vergangenen Jahr um 19 Prozent eingebrochen, es gab einen Gewinn-Absturz von 1,5 Milliarden auf 377 Millionen Euro. Der Boom bei Großprojekten ist längst verebbt, die Stromübertragung kämpft mit Überkapazitäten. Der Siemens-Vorstand zog die Notbremse: Das seit Jahren schwächelnde Energiegeschäft wird aus dem Konzern herausgelöst und als neues Unternehmen an die Börse gebracht. Damit entsteht der weltweit am breitesten aufgestellte Anbieter von Energieerzeugung – von Kraftwerken über Produktionsanlagen für Öl und Gas, Windkraft bis hin zur Energieverteilung. Da in Erlangen der Großteil des Managements sitzt, sieht man im dortigen Betriebsrat die Hugenottenstadt als den „natürlichen Kandidaten für den Zentralsitz“.

Die Kommunalpolitiker überbieten sich derzeit in der Unterstützung dieser von der Ersten Bevollmächtigten der IG Metall, Elisabeth Mongs, als „nicht unrealistisch“ eingeschätzten Analyse. Den Anfang machte die CSU-Stadtratsfraktion mit der Forderung, die Stadt müsse um den Hauptsitz von GP kämpfen. Sie bezog sich auf eine Äußerung des Vorstandschefs Joe Kaeser („Eine Frage der Standortauswahl wird sein: Wer unterstützt unser Geschäft?“) und forderte angesichts derzeit sprudelnder Steuereinnahmen eine Debatte über die Senkung der Hebesätze der Gewerbe- und Grundsteuern. Fraktionschef und OB-Kandidat Jörg Volleth: „Es ist besser, von Erlangen aus zu steuern, als ferngesteuert zu werden.“ Oberbürgermeister Florian Janik sieht Erlangen als „attraktiven Kandidaten, der gute Chancen hat, weit oben im Rennen dabei zu sein“. Doch ein Selbstläufer wird es nicht werden. So warnte ein Siemens-Betriebsrat bei der Stadtratssitzung davor, mit leeren Händen ins Gespräch mit den Konzern-Oberen zu gehen: „Man muss da ein Paket schnüren, muss etwas bieten.“

Vier Wirtschaftsreferenten schrieben an den Siemenschef


Es liegt auch bereits ein offizielles Schreiben an Joe Kaeser vor, das für die Metropolregion als GP-Sitz wirbt – gemeinsam ausgestellt von den vier Wirtschaftsreferenten der Städteachse Nürnberg-Fürth-Erlangen-Schwabach. Michael Fraas (Nürnberg), Horst Müller (Fürth), Konrad Beugel (Erlangen) und Sascha Spahic (Schwabach) stellen fest: „Es macht Sinn, dass dort, wo ein Unternehmen entwickelt und produziert, auch seine Zentrale ist. Es gibt gewaltige Synergien zu heben.“ Sie verweisen darauf, dass die hiesige Metropolregion das Herz von Siemens ist und in den letzten Jahren einen tiefgreifenden Strukturwandel erfahren hat – von einem Produktionsstandort hin zu einem Hightech-, Industrie- und modernen Dienstleistungsstandort mit einer „einzigartigen Hochschul- und Forschungslandschaft, einem hervorragenden Innovations-Ökosystem, bester Verkehrsinfrastruktur und insgesamt unternehmensfreundlichen Rahmenbedingungen“. Die Wirtschaftsreferenten legen Kaeser eine Reihe von Argumenten ans Herz, die für die Verknüpfung der Metropolregion mit dem Headquarter der Energiesparte des Weltkonzerns sprechen: „So gehört die Gestaltung nachhaltiger Energiesysteme zum Cross-Cluster-Ansatz der Metropolregion. In den letzten Jahren ist die Forschungslandschaft besonders im Energiebereich ausgebaut worden – zum Beispiel mit dem Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien (HI-ERN) und dem Energie Campus Nürnberg. Auch für die digitale Transformation gibt es in unserer Städteachse hervorragende Innovationsorte wie den Zollhof Tech Incubator oder das ADA-Center für Analytics, Daten und Anwendungen, an dem das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS seine Aktivitäten im Bereich künstliche Intelligenz bündelt.“

Am Horizont wartet allerdings ein mächtiger Konkurrent: die Bundeshauptstadt Berlin. Dort entwickelt Siemens bis 2030 einen rund 600 Millionen Euro teuren Technologie- und Innovationspark „Siemensstadt 2.0“, vergleichbar dem derzeit entstehenden 500-Millionen-Projekt Siemens Campus Erlangen. In Berlin sollen die Zukunftsfelder Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Elektromobilität, vernetzte Produktion, dezentrale Energiesysteme und -management im Mittelpunkt stehen. Die Parallelen zu GP besitzen da zwar nur ein bescheidenes Ausmaß, doch würde der Standort Berlin wohl am ehesten die angedachte „politische Unterstützung“ (Kaeser) beim geplanten Börsengang und beim Sprung in den DAX garantieren.
(Udo B. Greiner)

Kommentare (2)

  1. Der liberale Nils am 28.07.2019
    Siemens #Gas&Power - intern auch das #Powerhouse genannt, - wird im April 2020 als GmbH ausgegliedert und dann im September desselben Jahres an die Börse gehen. Bis zum Carve-Out (Herausschneiden von Eigenkapital) im April, spätestens bis zum eigentlichen Spin-Off, dem Verselbständigen als eigenständige Kapitalgesellschaft haben Aktienmarkt im September desselben Jahres, benötigt das Powerhouse Kredit-Fazilitäten in Höhe von 5 Milliarde Euro und mehr. Wie schon bei Osram war als ein Syndikus in dieser Kredit-GbR auch die Bayern LB mit 100 Mio. Euro beteiligt. Dass ist der Hebel, mit dem Siemens mit einem zinsgünstigen Darlehen als Unternehmensanleihe für 5 Jahre versorgt werden kann: gebunden natürlich an einer Standortzusage zugunsten @Erlangen. Man muss es dem Unternehmen nicht schenken, aber schmackhaft sollte es schon sein.
    Die @Sparkasse Erlangen-Höchstadt als Mit-Anteilseigner der BayernLB kann nun für Erlangen und Umgebung Anteilscheine zeichnen in Höhe von 1000 € für 5% verzinst. So kann man Unternehmensanleihen kaufen, die gegebenenfalls sogar als Wandelanleihen optional zu einem Aktienbesitz führen. Das ist doch eine #liberale Idee, die Bürger einer Stadt und die Mitarbeiter eines Unternehmens am Unternehmen zu beteiligen. Da müssen wir den Oberbürgermeister Florian Janik fragen. Er ist Vorsitzender des Verwaltungsrates der Sparkasse. Hallo! mit 5.000 € bin ich dabei - besser verzinst bekomme ich mein Geld nicht mehr.
  2. Rosen4424 am 27.07.2019
    Seltsam, dass in diesem Artikel der Standort Mülheim, der sich ebenfalls um das Headquarter bewirbt, überhaupt nicht erwähnt wird!
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