Stritten sich über Werte (von links): Wolfgang Huber, ehemaliger EKD-Ratsvorsitzender, Politikwissenschaftlerin Esra Kücük, Moderator und RHI-Chef Randolf Rodenstock, Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld und Historiker Andreas Rödder. (Foto: vbw)
Themaverfehlung möchte man den Podiumsdiskutanten des zehnten Salonstreitgesprächs des Roman Herzog Instituts (RHI) im Haus der Bayerischen Wirtschaft in München attestieren. Denn die zentrale Frage „Welchen Mehr-Wert liefert kulturelle Vielfalt?“, unter der es stand, wurde nicht beantwortet. Doch so simpel ist die Angelegenheit nicht, weil es keine einfachen Antworten hierauf gibt.
So war es Professor Andreas Rödder von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu verdanken, den kritischen Einwurf aus dem Publikum zu parieren, dass das Streitgespräch keine Lösung der Werte-Frage brachte, wo doch Exportweltmeister Deutschland rund 40 Prozent der Weltmärkte beherrsche und deutsche Unternehmen fast konkurrenzlos maßgeschneiderte industrielle Lösungen für alle Welt parat haben.
Frivoles Ansinnen
„Ich finde es frivol, wenn Wirtschaftsverbände ihre Partikularinteressen zum Gemeinwohl deklarieren“, betonte der Historiker. Die gegenwärtige Zuwanderung schutzsuchender Menschen habe nichts mit Arbeitsmigration zu tun. Insofern sei es unständig, beides zu vermengen und nach dem Motto zu verfahren: „Wenn die Syrer, die zu uns kommen, nicht alle Fachärzte sind, soll die Allgemeinheit für die Kosten der Integration und Unterbringung aufkommen.“ Hierfür erhielt der von allen Teilnehmern an dem exklusiven Salonstreitgesprächs Beifall – auch von den Wirtschaftsvertretern.
Freiheit und Chancengleichheit als Werte identifizierte Professor Wolfgang Huber, der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Daraus resultiere, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern hierzulande auch ein Wert sei.
Daraus leitete Professor Randolf Rodenstock, Vorstandsvorsitzender des RHI und ehemaliger Präsident der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, die Menschenwürde als Wert ab. Diese sei in Zeiten von Industrie 4.0 und künstlicher Intelligenz sehr wichtig. Denn seiner Ansicht nach ist es für die Zukunft der Gesellschaft entscheidend, welche Werte man einem Roboter einprogrammiert.
Ambivalente Werte
Wie ambivalent Werte sein können, illustrierte die Berliner Politikwissenschaftlerin Esra Kücük, die das deutschlandweite Bildungsprogramm „Junge Islam Konferenz“ initiierte. So würden 80 Prozent der Deutschen kulturelle Vielfalt begrüßen, aber wenn es konkret werde, würden sie sehr schnell davon wieder Abstand nehmen. So schwinde die Bereitschaft, seinen Sprössling in einen Kindergarten mit Migrantenkindern zu geben, sich von einem Oberarzt mit iranischer Abstammung operieren zu lassen oder die Oma von einem polnisch-stämmigen Piloten nach Mallorca fliegen zu lassen. Dies spielt sich laut Kücük auch in einer Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung, wonach 60 Prozent der befragten Deutschen gleiche Rechte für einige, aber nicht für alle befürworten würden. Das Aushalten der Verschiedenheit, sei für viele Deutsche ein riesiges Problem. „Im Fachjargon nennen wir das Ambiguitätstoleranz“, so Kücük.
„Keiner will Vielfalt. Menschen wollen ähnlich sein. Es ist anstrengend, mit Fremden konfrontiert zu sein“, verdeutlichte Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld, die Gefühlswelt vieler. Denn der Wert der Vielfalt werde sehr selektiv wahrgenommen. Die meisten Menschen seien davon intellektuell und materiell überfordert. „Das sind Menschen, die in einem Berufsumfeld unterwegs sind, in dem Vielfalt stört“, so Weidenfeld. Es sei eben nicht die Mehrheit hierzulande, die in der Forschung und Entwicklung arbeite und ein internationales sowie multikulturelles Team schätze.
Gewinner und Verlierer
Bei aller unterschiedlicher Betrachtung der Werte, waren sich die Podiumsteilnehmer zumindest darin einig, dass sich Werte wandeln. „Es gibt Wertegewinner und Werteverlierer“, betonte Rödder. So lebe ein Homosexueller im heutigen Deutschland wesentlich freier als noch vor 30 Jahren. „Aber eine Vollzeitmutter muss sich von der Bundesfamilienministerin sagen lassen, dass sie ihren Lebensentwurf als problematisch ansieht“, so der Historiker. Männliche Vollzeiterwerbstätigkeit und weibliche Teilzeiterwerbstätigkeit sei eine klare politische Leitlinie hierzulande. Doch spätestens beim zweiten Kind sei es auch denjenigen klar, die dies propagieren, dass die gesellschaftliche Realität eine andere ist. „Die Menschen wollen sich eben nicht von einem korpulenten SPD-Vorsitzenden, der einmal pro Woche sein Kind aus der Kita abholt, vorschreiben lassen, wie ihr Leben auszusehen hat“, provozierte Rödder. Und spätestens bei der Integration der Flüchtlinge werde sich zeigen, inwieweit das Gender-Mainstreaming noch aufrechtzuerhalten sei.
Vielleicht ist der pragmatischste Ansatz der von Esra Kücük, die sich immer wieder als „Verfassungspatriotin“ zeigte: Im Grundgesetz seien die Werte festgeschrieben, die der Rechtsstaat für wert hält, zu verteidigen. So könne diese freiheitliche, demokratische Gesellschaft überleben und ihren Mehrwert für die Wirtschaft entfalten.
(Ralph Schweinfurth)
INFO: Roman Herzog Institut
Das Roman Herzog Institut (RHI) fühlt sich dem Reformwillen seines Namensgebers verpflichtet. Bereits während seiner Amtszeit hat der aus Landshut stammende Bundespräsident a. D. Roman Herzog (CDU) immer wieder auf Versäumnisse hingewiesen, die die Zukunftsfähigkeit Deutschlands gefährden – unter anderem auch in seiner berühmten „Ruck-Rede“ von aus dem Jahr 1997. Jenseits der Tagespolitik will das RHI eine langfristige Perspektive für Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln. Darstellung und Analyse ordnungspolitisch fundierter Praktiken sollen helfen, strukturelle Defizite in Deutschland zu beseitigen.
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