Wirtschaft

Friedrich Schubring-Giese warnt vor enormen Finanzierungslücken. (Foto: VKB)

08.04.2011

„Ich staune, was politisch machbar ist“

Der Vorstandsvorsitzende der Versicherungskammer Bayern kritisiert, dass die Politik jungen Menschen immer mehr finanzielle Lasten auferlegt

Die Menschen werden immer älter. Deshalb geraten umlagebasierte Finanzierungsverfahren in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, bei denen die Jüngeren für die Älteren aufkommen, immer mehr in Schieflage. Gerade die privaten Lebens- und Krankenversicherer haben hier mit kapitalgedeckten Produkten eine Alternative. Doch die Politik zögert. „Ich staune bis heute, was politisch machbar ist“, sagt Friedrich Schubring-Giese, Vorstandsvorsitzender der Versicherungskammer Bayern (VKB), zur Staatszeitung. Ihn wundert es, dass der Gesetzgeber die ständig steigenden finanziellen Belastungen der demographischen Entwicklung vor allem den jungen Menschen auferlegt. Für den Vorstandschef ist ganz klar, dass die Antwort auf den demografischen Wandel, der, wie er betont, Fakt ist, nur die Kapitaldeckung ist. „Nur wenn ich früh genug in meinem Leben anfange, Geld zu sparen, werde ich im Alter ausreichend Kapital zur Verfügung haben“, so Schubring-Giese. Eindringlich mahnt er die politischen Entscheidungsträger hierzulande, nicht aus den Augen zu verlieren, dass das Leben für jeden Einzelnen immer teurer wird, je älter er wird. Gerade die medizinische Versorgung und die Inanspruchnahme von Pflegeleistungen schlagen im hohen Alter enorm zu Buche.
„Ich frage in meinem Bekanntenkreis immer, was sie schätzen, wie alt ein Mensch in Deutschland im Schnitt wird. Die meisten antworten: Frauen so rund 84 Jahre, Männer etwas weniger“, erläutert der Vorstandsvorsitzende. Die Realität ist jedoch so, dass die heute 60-jährige Frau im Durchschnitt 94 Jahre alt wird. Vor dem Hintergrund dieser Tatsachen, die in den so genannten Sterbetafeln der Versicherungsunternehmen abgebildet sind, versteht Schubring-Giese Politiker aller Couleur hierzulande nicht, die immer noch am gesetzlichen Umlageverfahren, sei es in Form der Bürgerversicherung oder sei es in Form der jetzigen staatlichen Rentenversorgung, festhalten wollen. „Das gesetzliche Umlageverfahren funktioniert nur noch bedingt.“ Im Prinzip müsse sich angesichts der Alterspyramide bis zu den Jahren 2040/2050 (immer weniger junge Menschen) das Kapitaldeckungsverfahren in der Kranken-, Lebens- und Pflegeversicherung durchsetzen. Denn sonst komme es zu enormen Finanzierungslücken, wenn immer weniger junge Menschen die Versorgung von immer mehr älteren Menschen schultern sollen. „Heute beträgt die Anzahl der über 80-Jährigen in Deutschland 4,3 Millionen. Im Jahr 2050 werden es 10,2 Millionen über 80-Jährige sein“, verdeutlicht der VKB-Chef.
Das biometrische Risiko abbilden
„Nur die Lebensversicherung kann das biometrische Risiko abdecken und ist in der Altersvorsorge die adäquate Antwort auf die demografische Entwicklung“, betont Schubring-Giese. Alleinstellungsmerkmal der privaten Versicherungsunternehmen ist, dass sie nicht kurzfristig auf hohe Renditen für die Kunden setzen, sondern über die lange Laufzeit einer Lebensversicherung dem Versicherungsnehmer zum Ablaufzeitpunkt eine Rentenzahlung garantieren. Und das lebenslang, egal wie alt der Kunde wird. Das biometrische Risiko kann in keinem Bankprodukt abgebildet werden, weil es sich nur um eine Kapitalanlage handelt. Auch die Argumentation, dass man eine Immobilie als Altersvorsorge habe, greift laut Schubring-Giese zu kurz. Gerade weil das Leben im Alter immer teurer wird, garantiere das eigene Häuschen zwar im Alter ein mietfreies Wohnen. Im Pflegefall muss das Wohneigentum aber schnell liquidiert werden, wenn keine Pflegeversicherung besteht. Die Versicherer rechnen damit, dass in Deutschland die Anzahl der Pflegebedürftigen von heute rund 2,1 Millio-nen auf bis zu 4,5 Millionen bis 2040 ansteigen wird. Doch bereits 2012/2013 werde die gesetzliche Pflegeversicherung in die roten Zahlen geraten, so der Vorstandsvorsitzende. Er rechnet damit, dass dieses Thema zunehmend in das Bewusstsein der Bevölkerung reichen und im zweiten Halbjahr 2011 so richtig die politische Debatte in Deutschland bestimmen wird.
Bereits jetzt habe die private Pflegepflichtversicherung in Deutschland Altersrückstellungen in Höhe von rund 20 Milliarden Euro aufgebaut. „Da ist die demografische Kurve enthalten“, unterstreicht Schubring-Giese. In der privaten Krankenversicherung (PKV) belaufe sich der Wert deutschlandweit auf rund 124 Milliarden Euro. „Das bedeutet keine weitere Belastung junger Generationen.“ Und Schubring-Giese entkräftet gleich das populistische Argument vieler Politiker, dass die PKV nur etwas für Besserverdiener sei. Knapp die Hälfte der rund 8,5 Millionen Menschen mit einem PKV-Vollschutz sind Beamte und deren Angehörige; darunter sind viele Beamte im einfachen und mittleren Dienst wie zum Beispiel Polizei- oder Feuerwehrbeamte. Die zweite große Gruppe sind Selbständige. Nur ein Achtel der Privatversicherten sind Angestellte, die in der gesetzlichen Krankenversicherung den Höchstbeitrag zahlen müssten.
Eigenkapitalunterlegung wird so volatil wie die Börse
Doch nicht nur die Politik macht es den Versicherern und der jungen Generation schwer. Auch die neuen Kapitalanforderungen durch Solvency II stimmen Schubring-Giese nachdenklich. „Zum Grundmodell von Solvency II stehen wir, weil es richtig ist, die Eigenkapitalanforderungen an den aktuellen Risiken auszurichten.“ Aber derzeit entwickle sich die so genannte Zinsstrukturkurve zum Ko-Kriterium für die Lebensversicherung. „Gut gedacht ist eben nicht immer gut gemacht“, so Schubring-Giese. So würde die Eigenkapitalunterlegung jeder Lebensversicherungspolice durch den Versicherer künftig genauso volatil werden wie die Börse – von extrem hoch bis extrem niedrig, je nach Konjunkturzyklus. „Als Lebensversicherer suchen wir aber den Ausgleich über die Zeit. Solvency II muss beim Thema Zinsstrukturkurve auf alle Fälle nachjustiert werden. Das sehe ich als ein Muss“, resümiert Schubring-Giese.
Andere Themen aus Solvency II wie mangelnde Transparenz in den Regeln und die Gewichtung der einzelnen Versicherungssparten (Kraftfahrt, Gebäude, Naturkatastrophen, Krankheit, Pflege, Leben) lassen sich laut Schubring-Giese lösen. „Wir, die Versicherungskammer Bayern, sind mit 3 Millionen Verträgen in der Gebäudeversicherung die Nummer eins im Freistaat in diesem Bereich – deutschlandweit die Nummer zwei.“ Da sei es schon wichtig, die Eigenkapitalanforderungen für die einzelnen Sparten eines Versicherungskonzerns ausgewogen zu gestalten.
(Ralph Schweinfurth)

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