Man versammelte sich zum Scherbengericht in der Regierung von Niederbayern. Dort, im kleinen Sitzungssaal der Behörde musste sich Andreas Drobeck (36) verantworten.
Drobeck arbeitet als Notfallsanitäter für die Johanniter, brennt für seinen Beruf. Seinen rechten Oberarm ziert ein Tattoo eines Rettungswagens samt Landshuter Stadtwappen. Drobeck versorgt im Auftrag des Zweckverbands Unfallopfer und fährt Verletzte ins Krankenhaus. Die obersten Vertreter eben jenes Landshuter Zweckverbands hatten Drobeck Anfang November des vergangenen Jahres zum Rapport zitiert. „Die Atmosphäre war angespannt und giftig“, erinnert sich Drobeck. Jürgen K., Ärztlicher Leiter des Landshuter Rettungsdienstes, und die Geschäftsleiterin des Zweckverbands Julia W., erheben schwere Vorwürfe: Notfallsanitäter Drobeck und sein Kollege hätten einen Patienten behandelt, obwohl ihnen das gesetzlich nicht gestattet gewesen sei.
Der 13. August 2020, die Corona-Inzidenz ist niedrig, die Temperatur hoch. Drobeck fährt an diesem Tag Schicht. Die Polizei ruft ihn und seinen Kollegen zum Landshuter Hauptbahnhof. Einem Passagier geht es schlecht, er hatte wohl zu wenig getrunken, wirkt dehydriert. Die Notfallsanitäter handeln. Drobecks Kollege sticht dem Mann eine Nadel in den Arm und lässt ihm einen Liter Wasser mit Elektrolyten in die Vene laufen. Der Patient erholt sich. „Der Einsatz war absolute Routine. Nichts Spektakuläres“, sagt Drobeck.
Die Notfallsanitäter hätten hier ihre Kompetenzen überschritten, urteilt Jürgen K., der als Ärztlicher Leiter alle Notfallsanitäter im Bereich des Landshuter Zweckverbands überwacht. Drobeck und dessen Kollegen hätten den Patienten zu Unrecht behandelt. Im konkreten Fall hätte nur ein Arzt eine Infusion verabreichen dürfen – Notfallsanitäter hingegen nicht, meint der Ärztliche Leiter. „Im Ergebnis wurde hier also bewusst gegen die Vorschriften (…) verstoßen“, hielt Arzt K. schriftlich fest. Dass er falsch gehandelt habe, bläuen K. und seine Kollegin W. Drobeck beim Gespräch in der Regierung von Niederbayern ein. An ihrer Sicht der Dinge habe man nicht rütteln können, sagt Drobeck.
Lizenz entzogen
Nach dem Gespräch machte Jürgen K. dann auch ernst. Er entzieht Drobeck die Lizenz, die er braucht, um seinen Beruf komplett ausüben zu können. Der erste Vorfall dieser Art in ganz Bayern. Drobeck klagte gegen den Entzug - und gewann vor Gericht. Es war kein juristischer Sieg, der auf verwaltungsrechtlichen Spitzfindigkeiten beruht.
Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof lässt vielmehr vermuten, dass im Zweckverband Landshut etwas schiefläuft. Recherchen der Staatszeitung stärken diesen Verdacht.
Die obersten Verwaltungsrichter Bayerns teilten in ihrer Entscheidung aus, verpassten vor allem dem Ärztlichen Leiter K. eine saftige Watsche. Nach Ansicht der Richter leide dieser an „Standesdünkel“ und „Selbstherrlichkeit“. Er habe den Notfallsanitäter Drobeck schikaniert und den Entzug von dessen Lizenz als Druckmittel missbraucht, um diesen zu disziplinieren. Manche Entscheidungen Ks. bewerten die Richter als „willkürlich“ oder „geradezu verstörend“. Das Gericht legte dem Zweckverband und dem Landshuter Landrat Peter Dreier (Freie Wähler) nahe, K. zu entlassen.
Davon will Landrat Dreier aber nichts wissen. Dreier sitzt auch dem Zweckverband Rettungsdienst vor, ist somit Jürgen Ks. Chef. Er verteidigt seinen Ärztlichen Leiter vor der Kritik der Justiz.
Kritik an Gerichtsentscheidung
Selbstherrlichkeit und Standesdünkel bei Jürgen K.? Da hätte sich das Gericht wohl im „Ton vergriffen“, meint Landrat Dreier. Zudem hätten die Richter aus Parteilichkeit und „nicht mit der notwendigen Neutralität“ sowie der „gebotenen Zurückhaltung“ entschieden. Dreiers Schelte an der Entscheidung des Gerichts sei Blödsinn, sagt Drobecks Anwalt, Ernst Fricke. „Sorgfältiger und neutraler kann ein Gericht nicht entscheiden.“ Landrat Dreier habe offenbar nicht alle Seiten des Beschlusses gelesen, ansonsten könne er sich nicht so äußern, wie er es tue, meint der Anwalt.
Die Ohrfeige der Richter scheint Landrat Dreier jedenfalls zu schmerzen. Aber vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs will sich Dreier offenbar nicht vorschreiben lassen, wer sich im Landshuter Zweckverband für den Posten des Ärztlichen Leiters eignet. Jürgen K. sei ein erfahrener und engagierter Notfallmediziner, bekräftigt der Zweckverband auf Anfrage der Landshuter Zeitung. Ks. bisherige Leistungen hätten keinen Zweifel an dessen Qualifikation aufkommen lassen. Es bestehe daher „keinerlei Veranlassung dazu, die Besetzung infrage zu stellen“.
Nach Informationen der Staatszeitung sorgte diese Nibelungentreue bei mehreren Verbandsräten des Zweckverbands für Unmut. Manche Räte fühlen sich übergangen, da der Zweckverband und Landrat Dreier sie über die öffentliche Stellungnahme nicht informiert habe.
Gutes Verhältnis
Anfang Mai ließ Landrat Dreier zudem den Verbandsräten eine E-Mail zukommen. Betreff: Information zur nächsten Verbandsversammlung. Wenige Tage zuvor hatte das Gericht seinen Beschluss in Sachen Drobeck gegen Ärztlichen Leiter K. gefällt. In Dreiers Schreiben an die Räte taucht die Personalie Jürgen K. mit keinem Wort auf. Wieso nicht? „Für mich gab und gibt es keinen Anlass, Themen aus dem nichtöffentlichen Teil der Versammlung vorwegzunehmen“, antwortet Dreier auf Anfrage. Alle wichtigen Punkte werde man in der kommenden Sitzung behandeln, er habe mit der E-Mail an die Verbandsräte über den „bisherigen Gang der juristischen Auseinandersetzung“ informiert.
Vergangenen Mittwoch fand diese Sitzung des Landshuter Zweckverbands dann statt. Landrat Dreier schimpft zu Beginn über die mutmaßlich „tendenziöse“ Berichterstattung der Staatszeitung. Mehrere Räte kritisierten wiederum die mangelhafte „Informationspolitik“ Dreiers. Die Verbandsräte hätten offenbar nicht einmal den vollständigen Beschluss des Gerichts in Sachen Drobeck vor der Sitzung erhalten. „Ich fühle mich wie ein Wackeldackel in der Verbandsversammlung. Ich nicke oft Dinge nur ab“, sagt ein Verbandsrat.
Landrat Dreier und der Ärztliche Leiter K. pflegen offenbar ein gutes Verhältnis. Sie duzen sich. K. kandidierte bei der letzten Kommunalwahl für den Gemeinderat auf einer Liste der Freien Wähler. Peter Dreier wiederum ist Mitglied der Freien Wähler. In der Causa K. befangen sei er aber nicht, meint Dreier. „Wenn ich mich in meinen Entscheidungen, Beurteilungen und Maßnahmen als Landrat von solchen Dingen auch nur beeinflussen ließe, käme ich aus lauter Befangenheiten nicht mehr heraus“.
Notfallsanitäter Drobeck fühlt sich trotz seines Sieges vor Gericht bei seiner Arbeit in Landshut nicht mehr ganz wohl. Seitdem er gegen den Zweckverband und Jürgen K. prozessierte und gewann, schaut K. bei Drobeck mutmaßlich genauer hin. Im Februar dieses Jahres bestellte K. Drobeck zum Gespräch. Der Termin kam nicht zustande, weil Drobecks Anwalt erkrankt war. Ohne ihn wollte der Notfallsanitäter den Termin nicht wahrnehmen. Trotzdem erstellte Jürgen K. über den geplatzten Termin ein Gesprächsprotokoll. Darin unterstellt K., Drobeck empfinde die Unterredung „als nicht erforderlich“. Drobeck bestreitet, das jemals so gesagt zu haben. K. korrigierte die Passage im Protokoll. Wieso er mutmaßte, dass Drobeck das Gespräch für unnötig hielt, beantwortet K. auf Anfrage nicht. Er habe bei der Vorbereitung des Gesprächs nur gewusst, dass Andreas Drobeck nicht kommen würde, sagt K..
Qualität sichern
Der Ärztliche Leiter bohrt weiter. Ende Mai will er wieder ein Protokoll eines Drobeck Einsatzes von den Johannitern einsehen - angeblich um die Qualität des Rettungsdienstes zu sichern. Die Johanniter rücken K. das Protokoll nicht sofort heraus. Daraufhin schaltet sich Landrat Dreier ein. Die Geschäftsleiterin des Zweckverbands Julia W. schreibt dem Chef der Johanniter eine E-Mail. Eine Kopie geht an Peter Dreier. Im Namen des Zweckverbands und „explizit auch von Herrn Verbandsvorsitzenden Landrat Dreier“ möchte man auf die Pflicht hinweisen, Protokolle an K. zu übersenden, wenn dieser das verlange. „Im Rahmen des Vertrages“ zwischen dem Zweckverband und den Johannitern sei der Rettungsdienst dazu verpflichtet. Setzte Dreier die Johanniter unter Druck, um gegen den Notfallsanitäter Drobeck belastendes Material aufzutreiben? Man habe niemanden unter Druck gesetzt, sagt Peter Dreier. „Eine solche Unterstellung weise ich in aller Deutlichkeit zurück.“
Die Mail des Landrats zeigte aber offenbar Wirkung. Die Johanniter knickten ein und schickten K. die gewünschten Unterlagen über Drobeck. Zu welchen Mitteln K. bereit ist zu greifen, belegt eine Aktennotiz über das Gespräch des ersten inkriminierten Einsatzes. Man könne, notiert K., Drobeck und seinen Kollegen bei der Staatsanwaltschaft anzeigen. Denn die Notfallsanitäter hätten, als sie die Infusion legten, eine Körperverletzung begangen. Zudem hätten Geschäftsleiterin Julia W. und Arzt Jürgen K. Drobeck nahegelegt, den Entzug der Lizenz hinzunehmen und die Füße still zu halten. In diesem Fall, so schildert es Drobeck, könne man wohl auch verzichten, die Staatsanwaltschaft einzuschalten. „Das hat sich angefühlt wie eine Erpressung“, sagt Drobeck. Ein weiterer Teilnehmer der Sitzung bestätigt diese Darstellung. Sowohl Julia W. als auch Jürgen K. bestreiten den Vorwurf vehement. Eine Erpressung habe es nie gegeben.
(Vinzenz Neumaier)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!