321 Verdachtsfälle wegen möglichen Corona-Hilfe-Betrugs durch Soloselbstständige gibt es nach Auskunft des bayerischen Kunstministeriums aktuell. Aber wollten diese Künstler*innen wirklich betrügen – oder wurde vielen sogar behördlich geraten, einen Haken bei „Nein“ statt bei „Ja“ zu setzen?
Frank Vomhoff (Name geändert) hatte dieser Tage eine freundliche Einladung bekommen: Er möge doch bitte „in der Ermittlungssache Sonstiger Betrug (Versuch)“ im Kommissariat 42 der Nürnberger Kriminalpolizei erscheinen. Und zwar „als Beschuldigter“.
Keine Auftrittsmöglichkeit
Frank Vomhoff ist selbstständiger Künstler. Seit der ersten bayerischen Corona-Infektionsschutzverordnung im März 2020 hat er keine Auftrittsmöglichkeit mehr – und damit auch keine Einnahmen. Deshalb hatte er zunächst, um aus der sogenannten Corona-Soforthilfe des bayerischen Wirtschaftsministeriums ein paar Euro Unterstützung zu erhalten, einen Antrag gestellt und bewilligt bekommen.
Ein paar Monate später verkündete Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in einer Pressekonferenz: Für Künstler werde es jetzt ganz fix ein eigenes Hilfspaket geben. Bis das dafür eingeteilte Kunstministerium endlich Anträge möglich machte – auf der vorhandenen Online-Plattform des Wirtschaftsministeriums – waren wieder einige Wochen vergangen.
Dann aber wollte Vomhoff schnell die für Künstler*innen offenbar auskömmliche Summe von zusammen 3000 Euro für drei Monate beantragen. Doch das Formular machte ihm einen Strich durch die Rechnung: Er wollte ehrlicherweise angeben, dass er schon beim Wirtschaftsministerium einen Antrag gestellt hatte. Damit ging es aber nicht weiter. Von der Bezirksregierung Mittelfranken bekam er die Auskunft: Den Haken bei „Ja“ setzen, dann funktioniere es. Die Programme seien ja kumulierbar, erfuhr er über die Hotline. Das tat Vomhoff dann auch. Der Antrag wurde zunächst bewilligt, dann aber widerrufen, weil er vorher schon mehr als die Künstlersumme erhalten hatte. Und jetzt hat er ein Ermittlungsverfahren am Hals.
Haken falsch gesetzt
Könnte es sein, dass auf diese Weise eine Reihe von Künstlern zu „Betrugsversuchern“ geworden ist? Denn zwischen dem Start der Online-Antragstellung für das Künstlerhilfsprogramm am 19. Mai und die Korrektur der Förderbedingungen am 27. Mai könnten viele klamme Künstler*innen den Haken falsch gesetzt haben.
Wie viele von ihnen den „Haken im Antragsformular bewusst falsch gesetzt und damit wissentlich falsche Angaben gemacht haben, ist uns nicht bekannt“, schreibt das Kunstministerium auf Anfrage der Staatszeitung. Und: „Dies wird von den Ermittlungsbehörden geprüft.“ Denn: Das Landeskriminalamt (LKA) Bayern hat jene 321 Fälle an die zuständigen Polizeidienststellen weitergeleitet. Und die laden nun die Künstler der Reihe nach vor – wie Kleinkriminelle.
Das LKA spricht übrigens von insgesamt „knapp 700 expliziten Verdachtsfällen“, die die Bewilligungsstellen im Zusammenhang mit „Corona-Soforthilfen insbesondere für kleine Unternehmen und Soloselbständige“ an die Polizeibehörde gemeldet hätten.
Ans LKA weitergeleitet
Ermittlungen sind selbstverständlich Aufgaben der Polizei. Doch wie kamen die Informationen überhaupt zum LKA? „Bei Betrugsverdachtsfällen sind die Bewilligungsstellen verpflichtet, diese an die Ermittlungsbehörden zu melden“, schreibt das Kunstministerium. Und, dass das Ministerium solche Fälle „bündelt und diese gesammelt an das LKA zur Prüfung weiterleitet“.
Wie ihre Pendants in den anderen Regionen hat die Bezirksregierung Mittelfranken „als staatliche Mittelbehörde die Abwicklung des sogenannten Künstlerhilfsprogramms nach den Vorgaben des Kunstministeriums vorgenommen“. Aber sie stellt ausdrücklich klar, „in diesem Zusammenhang zu keinem Zeitpunkt Kontakt zu Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, LKA) aufgenommen oder Anzeigen gestellt“ zu haben.
Die Staatszeitung fragte das Ministerium: Welche Bezirksregierungen haben wie vielen Antragstellern bei Fragen zu Problemen mit den Online-Förderanträgen mitgeteilt, sie sollten den Haken falsch setzen, damit sie den Antrag abschließen konnten. Die Antwort der Pressestelle: Die Bewilligungsstellen könnten „nicht mehr nachvollziehen, welche Auskünfte im Einzelfall erteilt worden sind“. Zwar „bedauern wir es sehr, sollte es hier im Rahmen telefonischer Auskünfte zu Missverständnissen gekommen sei“.
Bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ist das Problem mit dem Haken übrigens bekannt. Alleine 49 entsprechende Ermittlungsverfahren sind dort anhängig und hemmen womöglich die Chance, wirklichen Wirtschaftskriminellen das Handwerk zu legen.
Keine Hoffnung mehr
Frank Vomhoff jedenfalls hat inzwischen die Hoffnung auf ernsthafte Unterstützung während des coronabedingten Quasi-Berufsverbots verloren. So gibt es vom Bund bis heute keine Antragsmöglichkeit für die groß angekündigte „Novemberhilfe“.
Und wenn Vomhoff das von der Gewerkschaft Verdi bereitgestellte Rechenprogramm benutzt, seinen Umsatz von 30.000 Euro im Jahr 2019 eingibt und die Null Euro aus 2020, dann stünden ihm von Dezember bis Juni 2021 monatlich 625 Euro aus der allerneuesten „Neustarthilfe“ des Bundes zu. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Frank Vomhoff würde ohnehin viel lieber wieder musizieren und selber Geld verdienen. Wie Jahrzehnte lang zuvor.
(Heinz Wraneschitz)
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