Wirtschaft

Mit Außer-Haus-Verkäufen versuchen viele Restaurants verzweifelt, den erneuten Lockdown wirtschaftlich zu überstehen. (Foto: dpa/Martin Schutt)

06.11.2020

Vorhandene Corona-Schutzmaßnahmen: irrelevant

Egal ob Restaurants, Schwimmbäder oder Nagelstudios – die Politik ignoriert bei ihrem Lockdown, dass sich viele Betriebe bereits sinnvoll vorbereitet haben

Der Protest gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung im sogenannten Lockdown light nimmt zu. Anders als im Frühjahr wird nun vor allem die Sinnhaftigkeit einzelner Entscheidungen infrage gestellt. Die bereits getroffenen und wirksamen Schutzvorkehrungen scheinen für die Entscheider in der Politik keine Rolle zu spielen. Dafür dürfen Hauptschuldige am Superspreading (dem massiven Verbreiten von Viren) mit Nachsicht rechnen.

Die Wirtin in der alteingesessenen Wirtschaft Pfaffelbräu im oberbayerischen Pfaffenhofen an der Ilm schnauft tief durch, als ihr der Stammgast und sein Sohn am letzten Öffnungstag vor dem erneuten Lockdown alles Gute wünschen für die kommenden Wochen. Ob sie gerüstet sei für die Zeit des Bewirtungsverbots in den kommenden vier Wochen? „Ja, für vier Wochen halten wir es schon noch mal irgendwie aus. Aber wenn es dann noch länger dauert, dann geht es ans Eingemachte, an die Existenz“, sagt die junge Chefin und Mutter von zwei kleinen Kindern, und man sieht sogar hinter ihrer Maske, wie sie sich auf die Lippen beißt, um die Tränen zurückzuhalten.

"Politischer Aktionismus, der jeder Grundlage entbehrt"

Außer ihr arbeiten in dem Restaurant noch ihr Mann als Koch, zwei Hilfskräfte in der Küche und ein Kellner. Vermutlich wird sie für das Personal wieder Kurzarbeit anmelden müssen, denn für den im November noch erlaubten Außer-Haus-Verkauf reicht der Koch allein; der prognostizierte Umfang – das wurde bereits beim ersten Lockdown klar – macht nur einen geringen Anteil der üblichen täglich gekochten Portionen aus. „Wir bieten übrigens fast alle Speisen auch to go an“, ergänzt die Wirtin.

Die Restaurants sind die Hauptleidtragenden des erneuten Lockdowns. Dabei haben sie sich geradezu vorbildlich verhalten hinsichtlich der Schutzmaßnahmen: Von der Tür bis zum Esstisch oder auf dem Gang zur Toilette muss eine Maske getragen werden. Einige haben sogar Trennscheiben zwischen den Tischen errichtet.

Von „politischem Aktionismus, der jeglicher Grundlage entbehrt“, spricht deshalb Angela Inselkammer, Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga Bayern. „Die Maßnahmen sind willkürlich, nicht nachvollziehbar und vollkommen unverhältnismäßig.“. Denn laut Robert Koch-Institut (RKI) finden lediglich 0,5 Prozent der Ansteckungen in Gaststätten statt. Bei den Infektionstreibern handelt es sich laut RKI-Präsident Lothar Wieler „vorwiegend um private Feiern“.

"Großfamilien sind  Treiber der Infektion"

Doch bei privaten Feiern, insbesondere Hochzeiten in Großfamilien – „die Treiber der Infektion in Deutschland“, wie die Neue Züricher Zeitung schreibt –, zeigten die Behörden in den vergangenen Wochen ein ungewöhnlich hohes Maß an Nachsicht und Verständnis. Von schmerzhaften Bußgeldern oder gar Anklageerhebungen wurde nichts bekannt – frappierend in einem Land, wo Behörden sonst bereits rigoros einschreiten, wenn etwa die Auflistung von Geschmacksverstärkern in Speisekarten vergessen wurde.

Manche Kommunalpolitiker werden auch gezielt eingeschüchtert. Als Thomas Hunsteger-Petermann (CDU) – er war bis 31. Oktober 2020 Oberbürgermeister der Stadt Hamm in Nordrhein-Westfalen – ankündigte, gegen den Veranstalter eines türkischen Junggesellenabschieds mit 150 Teilnehmern vorzugehen, hagelte es in den sozialen Netzwerken umgehend Rassismusvorwürfe gegen den Rathauschef.

Auch jenseits der Gastronomiebetriebe scheinen wissenschaftliche Erkenntnisse und sinnvolle getätigte Maßnahmen nur wenig Einfluss gehabt zu haben auf die nun getroffenen Entscheidungen, wie man beispielsweise im Landshuter Hallenbad erleben kann. Auch das wurde im Lockdown geschlossen.

Dabei wurde seitens des Personals alles unternommen, damit es nicht zu Ansteckungen kommen kann. Die Maske muss sogar in den Umkleidekabinen getragen werden und darf erst im Becken abgenommen werden, die Toilette darf jeweils nur eine Person nutzen, jede zweite Dusche ist gesperrt. Im Wasser gilt strenges Schwimmen in eine Richtung, sodass man sich nicht entgegenkommen kann. Und selbstverständlich ist die Zahl der gleichzeitig zugelassenen Badegäste streng begrenzt. Neue Besucher mussten warten.

Infektionsrisiko in feuchtwarmer Hallenbad-Luft geringer

Auch das Chlor im Wasser ist der Verbreitung von Keimen, Bakterien oder Viren abträglich, wie Alexander Kämpfe, Fachgebietsleiter für Schwimm- und Badebeckenwasser sowie chemische Analytik beim Umweltbundesamt, bestätigt. Ungünstig für Corona ist zudem die relativ hohe Luftfeuchtigkeit in Hallenbädern: Laut einer Studie des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung haften in feuchter Luft mehr Wasserpartikel an den Aerosolen, sie sinken deshalb schneller zu Boden. Das Infektionsrisiko ist also niedriger als bei trockener Luft.

Manches ist auch in sich unlogisch. Alle Dienstleistungsbetriebe, bei denen eine körperliche Nähe zum Kunden unabdingbar ist, mussten zum 2. November schließen. Die Verordnung nennt als Beispiele für körpernahe Dienstleistungsbetriebe die Kosmetikstudios und auch kosmetische Fußpflegebetriebe und Nagelstudios. Friseurbetriebe, die eigentlich auch körpernahe Dienstleistungen erbringen, wurden aber ausdrücklich erlaubt – was vernünftig ist, tragen doch sowohl der Frisör wie der Kunde eine Maske.

Allerdings hatten auch die Nagelstudios nach dem Frühjahrs-Lockdown aufgerüstet: Behandlungspersonal und Kundschaft sind inzwischen meist durch eine Glasscheibe getrennt, in die lediglich Löcher geschnitten sind, durch die man Hände beziehungsweise Füße stecken kann; die Mitarbeitenden tragen Handschuhe. Da kommt man sich in Supermärkten deutlich näher.
(André Paul)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll die tägliche Höchstarbeitszeit flexibilisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.