Die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) hat im Auftrag des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) und der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) untersuchen lassen, wie Bayern bis 2040 ohne Treibhausgasemissionen wirtschaften kann. Die Ergebnisse der Studie sind unter bayernplan-energie.ffe.de einsehbar.
BSZ: Was muss passieren, damit Bayern 2040 klimaneutral wird?
Detlef Fischer: Das wird heftig, nur ein paar Beispiele dazu: Wir müssen jede Woche über 50 Fußballfelder mit PV-Anlagen versehen, zusätzlich 2700 Gebäudedächer mit PV-Anlagen mit jeweils 10 kW Leistung bestücken. Dann braucht es noch jede Woche zwei Windkraftanlagen mit jeweils 5000 kW. Außerdem müssen jede Woche 1000 Wohngebäude energetisch saniert werden und 5700 Pkw mit klimaneutralen Antrieben (vorzugsweise mit Batterien für das bidirektionale Laden) zugelassen werden. Des Weiteren benötigen wir jede Woche einen Elektrolyseur mit 5000 kW Leistung und jede Woche Batteriespeicher mit jeweils 3000 kWh (das sind etwa 3000 herkömmliche Autobatterien in Verbrennern) Speicherkapazität und viele, viele neue Leitungen und Hunderte neue Umspannwerke. Und das ist im Wesentlichen nur die elektrische Seite der Energiewende.
BSZ: Das heißt?
Fischer: Zusätzlich muss die Erdgaswirtschaft auf eine klimaneutrale Wasserstoffwirtschaft umgebaut werden. Die Mineralöl- und Kohlewirtschaft ist bis 2040 vollständig abzuwickeln. Diesen Wirtschaftszweig benötigen wir dann nicht mehr. Bestenfalls gibt es eine neue kleine Marktnische in den E-Fuels für graumelierte Herren mit ihren alten Porsche 911. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass dies groß und auskömmlich sein wird. Wir müssen also epochale Herausforderungen bewältigen. Wenn der FC Bayern München wieder Deutscher Meister wird, dann schaffen wir auch das „Klimaneutrale Bayern 2040“. Da gehe ich jede Wette ein.
BSZ: Wie müssen die Menschen in Bayern ihr Verhalten ändern, damit das funktioniert?
Fischer: Wir müssen schleunigst lernen insgesamt viel nachhaltiger zu wirtschaften und zu leben als bisher. Das sind wir den nachfolgenden Generationen einfach schuldig. Denkt man dabei an seine eigenen Kinder, fällt das Umdenken bedeutend leichter. Am besten funktioniert das Umdenken aber immer noch über den Geldbeutel. Wer bei der Energiewende mitmacht, sollte davon profitieren, wer sich verweigert muss draufzahlen. Bisher ist es häufig noch umgekehrt. Wer das dickste Auto mit den meisten Zylindern fährt genießt immer noch die größte gesellschaftliche Anerkennung. Wir leben einfach auf zu großem Fuß. Wenn wir weniger Energie verbrauchen benötigen wir auch weniger Windkraftanlagen und Stromtrassen, so einfach ist das eigentlich. Unabhängig davon liegt aber in der Elektrifizierung der Schlüssel für mehr Effizienz und den Erhalt unseres Wohlstands im herkömmlichen Sinn.
BSZ: Laut Studie sollen E-Autos als Stromspeicher dienen. Glauben Sie, dass E-Autofahrer bereit sind, ihr Auto entladen zu lassen und somit das Risiko haben, am nächsten Tag nicht losfahren zu können?
Fischer: Dass man am nächsten Tag nicht losfahren kann, wird nicht das entscheidende Problem sein. Das bekommen wir schon mithilfe intelligenter Technik hin. Wir haben viele schlaue Leute in unserem Wirtschaftszweig! Die größere Frage wird sein: Wer haftet für Schäden an der Batterie, wenn verschiedene Akteure auf den Speicher zugreifen und damit seine Lebensdauer verkürzen. Das ist dann wie im richtigen Leben beim Vaterschaftstest: Wer war es? Ich könnte mir vorstellen, dass künftig beispielsweise Energieversorger ihren Kunden Autos gegen ein Entgelt zur Verfügung stellen und damit das Risiko für Batterieschäden beim Versorger liegt und der Kunde im Falle des Falles einfach ein neues Auto bekommt.
BSZ: Wie soll die Energiewende angesichts der fehlenden Handwerker gelingen? Allein für den Wärmepumpeneinbau fehlen deutschlandweit 60.000 Installateure.
Fischer: Es fehlt nicht nur an Handwerkern, es fehlt auch an Material. Die Energiewende auf Grundlage erneuerbarer Energien ist auch eine gewaltige Ressourcenschlacht, halt nicht auf Basis fossiler Brennstoffe, sondern auf Grundlage von Stahl, Kupfer, Lithium und seltenen Erden. Gegenüber den nachfolgenden Generationen können wir das nur verantworten, wenn wir eine strikte Kreislaufwirtschaft aufbauen. Davon sind wir aber auch noch meilenweit entfernt. Versuchen Sie als Privatperson mal ein PV-Modul zu entsorgen.
BSZ: Alles richtig, aber was ist jetzt mit den Handwerkern?
Fischer: Bei den Handwerkern werden wir noch Jahre mit extremer Knappheit umgehen müssen. Wir werden die jungen Leute mit sanftem Druck in die benötigten Berufsbilder schieben müssen. Das geht im Übrigen auch mit Geld am einfachsten. Wir brauchen gar nicht so viele Medienschaffende, App-Programmierer und Blogger. Ich denke auch, dass in der Automobilwirtschaft Personalkapazitäten frei werden. Dort sind derzeit unmittelbar noch rund 800.000 Personen beschäftigt. So viele brauchen wir da bald auch nicht mehr. Elektroautos benötigen keine Abgasreinigungsanlagen und komplizierte Motoren und Getriebe.
BSZ: Und die werden dann alle Handwerker?
Fischer: Nein, aber viele Hauseigentümer beginnen, ihre Sachen wieder selber so gut es eben geht einzubauen. Anleitungen dafür gibt es im Internet genug und Baumärkte mit Material auch. Nur wenn es schwierig wird holt man sich dann noch einen ausgebildeten Handwerker. Man sieht an den PV-Steckeranlagen wie einfach die Energiewende sein kann. Um sich ein Elektroauto zu kaufen braucht man gar keinen Handwerker, das gibt es bei BMW und Audi von der Stange.
BSZ: Was muss die Politik unternehmen, damit es mit dem klimaneutralen Bayern klappt?
Fischer: Zunächst ist festzuhalten, dass die Politik insbesondere seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine auf Bundes- wie auch auf Landesebene viel unternimmt, um die Energiewende voranzutreiben. Die bayerische Staatsregierung ist bei gleichem Personal wie ausgewechselt. Total irre was da passiert ist. Lange Zeit waren Stromtrassen und Windräder „des Teufels“, jetzt kann man gar nicht genug davon bekommen – und zwar möglichst schnell. Die Herren und Damen Minister haben alle einen Spaten sowie Gummistiefel im Kofferraum und schaufeln bei jeder Baustelle medienwirksam fleißig mit. Das ist wirklich toll und wir hoffen, dass das auch so bleibt, wenn der Gegenwind aus der Bevölkerung mal wieder stärker werden sollte.
BSZ: Das bedeutet konkret?
Fischer: Wir brauchen eine Politik mit Weitblick, Rückgrat und Durchhaltevermögen. Was heute richtig ist, kann morgen nicht falsch sein und umgekehrt. Nur unter diesen Voraussetzungen kann die Energiewirtschaft die Investitionen tätigen, die sich erst nach vielen Jahrzehnten amortisieren. Leider war das in den vergangenen beiden Jahrzehnten häufig nicht der Fall. Das Hü und Hott ging mir total auf die Nerven. Die Suppe, die wir uns damit eingebrockt haben, löffeln wir jetzt alle aus. Es wird lange dauern, bis der Teller leer ist.
BSZ: Wie kann man den bürokratischen Irrsinn stoppen, der die Energiewende ausbremst?
Fischer: Wir benötigen derzeit 20 Jahre, um ein Pumpspeicherkraftwerk zu bauen, genauso lange für eine Gleichstromtrasse, für ein Umspannwerk benötigen wir fünf Jahre, eine Windkraftanlage ist, wenn es gut geht, in drei Jahren gebaut, eine PV-Freiflächenanlage braucht mindestens zwei Jahre, kann wie in meinem privaten Fall aber auch schon mal mehr als 15 Jahre durch die Amtsstuben wabern. Da braucht man viel Humor, um so etwas auszuhalten.
BSZ: Mit dem Humor kommt man aber nicht weiter.
Fischer: Für die Genehmigung all dieser Anlagen ist ein Blumenstrauß an Anforderungen zu erfüllen. Die kann man auch nicht so einfach weglassen, denn wir wollen ja nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und Anlagen errichten die mehr Schaden anrichten als sie nützen. Ein Teilausweg aus diesem Dilemma kann in der Standardisierung der Anlagentechnik liegen. Das ist dann wie beim Auto, hat es mal eine Typzulassung erhalten, dürfen alle Fahrzeuge des gleichen Types ohne weitere Prüfung zugelassen werden.
BSZ: Und dann ist alles gut?
Fischer: Nein, weil Deutschland seine Bürokratie liebt. Sie wird daher unser steter Begleiter bei der Energiewende bis 2040 sein. Und danach im Übrigen auch, denn dann müssen wir die Anlagen wieder erneuern oder haben mit den Fördermilliarden der bayerischen Staatsregierung die Kernfusion zur Betriebsreife geführt und sind dann alle Sorgen um unsere Energieversorgung auf ewig los.
(Interview: Ralph Schweinfurth)
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