Bis heute erklärt Bundeswirtschafts- und Energieminister Peter Altmaier (CDU), dass erneuerbare Energien im ländlichen Raum entstehen und der meiste Ökostrom von Windkraftwerken in Norddeutschland produziert wird. Darum müsse dieser Strom nach Süden transportiert werden, wo er gebraucht werde. Dies erklärte er auch in Redwitz an der Rodach. Doch hunderte Menschen vor und in der dortigen Feuerwehrhalle stellten klar: „Nein, die dafür vorgesehenen Trassen brauchen wir nicht! Wir wollen lieber Wind- und Solarstrom hier in Bayern produzieren.“
„Ich verspreche Ihnen: Wenn ich ein halbes Jahr im Amt bin, werde ich jede problematische Leitung persönlich kennen und besucht haben.“ Als Minister Altmaier am 22. März 2018 seine Antrittsrede im Bundestag hielt, war ihm offenbar nicht klar, was er da gerade wörtlich gesagt hatte. Als Altmaier nach Redwitz (Landkreis Lichtenfels) kommt, ist das halbe Ministerjahr längst vorbei. Und problematische Leitungsecken besucht hat er bislang nur im Promillebereich.
Zurzeit tut er so, als erinnere er sich gar nicht an sein im Bundestag protokolliertes Versprechen. Gegenüber den in Redwitz reichlich versammelten Trassengegnern erklärt er: „Selbstverständlich kann ich nicht alle Gruppen besuchen, mein Terminkalender ist auch noch mit vielen anderen Themen gefüllt.“
Fassungslose Bürger
Mittelfranken und die Oberpfalz hat der Energieminister auch bei seiner gerade mal zweiten „Netzausbaureise“ nicht auf dem Routenplan, sondern Redwitz und Coburg (Oberfranken) sowie Grafenrheinfeld (Unterfranken). Deshalb haben sich viele Menschen zum Beispiel das „Aktionsbündnis gegen die Süd-Ost-Trasse“ (AB) aus Altdorf, Berg, Hersbruck, Regensburg, Seußen auf den Weg nach Oberfranken gemacht und warten vor dem Feuerwehrhaus Redwitz auf Altmaier und seine Begleitung. Nach einigem Hin und Her wird mehreren AB-Mitgliedern sogar zugesagt, bei der späteren Diskussion in der Halle dabei zu sein. Sie, die auf den ersten Blick nur gegen die Höchstspannungs-Gleichstromtrasse „Süd-Ost-Link“ sind, wollen sich aber nicht gegen die Ausbaugegner von Drehstromleitungen wie „Ostbayernring“ oder jener P44 – ob „mod“(ifiziert) oder nicht – ausspielen lassen.
Deshalb lehnt das AB auch eine für Ende November vorliegende Einladung ins Ministerium kategorisch ab. Sprecherin Dörte Hamann erklärt gegenüber dem Minister unmissverständlich: „Wir fahren nicht auf eigene Kosten für ein Zwei-Stunden-Treffen nach Berlin.“ Die verschiedenen Gruppen fürchten, dass dort ebenso wie in Redwitz nur einzelne Details geplanter Trassen diskutiert werden sollen. Das AB jedoch stellt „die Stromtrassen fundamental in Frage. Trassen sind nicht die Energiewende“, auch wenn das die Bundespolitik nebst der nachgeordneten Bundesnetzagentur immer wieder so darstellen würde.
Mit dem BUND Bayern haben die ehrenamtlichen Trassengegner einen starken, professionellen Mitstreiter. Energiereferent Herbert Barthel fordert wie Hamann, „nicht über Einzelpläne, sondern über ein Netzplankonzept“ zu sprechen. Das wird ihm zwar auch in Redwitz nicht gelingen. Doch seit Kurzem spüren die Gegner des Übertragungsnetz-Ausbau regierungsamtliche Unterstützung von Bayerns neuem Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Der Freie Wähler ist genauso wie sein Parteikollege und Umweltminister Thorsten Glauber nach Redwitz gekommen.
Hier, im Obermaintal, dem Fränkischen „Gottesacker“ nahe Staffelberg und Kloster Banz, haben sich gleich fünf Landkreise – Bamberg, Coburg, Kronach, Forchheim, Lichtenfels – gegen neue Trassen bekannt. Die sogenannte Thüringer Strombrücke bis nach Redwitz habe man ohne Klagen hingenommen, heißt es einvernehmlich aus den Landratsämtern. „Doch wir waren fassungslos, als wir von Tennet (der für den Leitungsbau zuständige Übertragungsnetz-Betreiber; d. Red.) erfuhren, dass die Leitung P44mod gar nicht ins Umspannwerk Redwitz führen würde. Neubauten dürfen nicht reine Transportleitungen sein“, hebt der örtliche CSU-Bürgermeister Christian Mrosek die klare Ablehnung neuer Trassen heraus, und ergänzt: „Wir appellieren an die politische Vernunft!“
Intelligente Lösungen
Bei Minister Aiwanger hört sich das ähnlich an: „Ich hoffe auf intelligente Lösungen statt auf 500 Kilometer Leitungsgräben. Wir brauchen einen Plan B statt einer Europäischen Kupferplatte. Milliarden Euro vergraben kann nicht der richtige Weg sein.“ Auch der Freiwähler stellt also den Zusammenhang zwischen Höchstspannungs-Netzausbau und dem Kernkraft-Aus Ende 2021 in Frage. Für ihn hat „oberste Priorität: Netzausbau vermeiden, Netzsteuerung, Ausbaumaßnahmen im Verteilnetz.“ Und dann folgt der Satz: „P44: Ganz klar, mit mir nicht!“ Das gelte auch dann, wenn die Leitungstrassen ein paar Kilometer verschoben würden.
Glaubt man Bundesminister Altmaier, dann entstanden die in Bundesgesetze gefassten neuen Leitungswege in Bayern ohnehin nicht aus technisch sinnvollen Vorgaben: „Die Trassen wurden mit Lineal und Bleistift eingezeichnet. Und zwar auf Wunsch von Horst Seehofer.“ Der war 2015 Bayerns Ministerpräsident und als CSU-Parteichef an dem entsprechenden Koalitionsgipfel beteiligt. Was der daneben sitzende Jochen Homann, der Präsident der Bundesnetzagentur, von Altmaiers Offenbarung hält, ist nicht zu erfahren.
Der jetzige Bundesinnenminister Seehofer dürfte dank dessen 10H-Abstandsregel auch verantwortlich dafür sein, dass Peter Altmaier bis heute glaubt: „Die Leute in Bayern wollen keine Windräder.“ Das aber weisen die Trassengegner zurück: Sie seien ausdrücklich für dezentrale Stromgewinnung aus Wind, Sonne oder Bioenergie. Dafür haben sie sich sogar mit einem großen Energiekonzern zusammengefunden, der N-ERGIE AG aus Nürnberg, wie zu hören ist.
Am Ende von 90 Minuten Diskussion in der mit über 200 Leuten voll gefüllten Feuerwehrhalle gibt sich Altmaier betont offen. „Wenn Ihr Strom in Bayern selber erzeugen wollt, habt Ihr mich auf Eurer Seite“, ruft er den Trassengegnern zu. Den beiden FW-Staatsministern verspricht er: „Bis Ende des Jahres lade ich die Umwelt- und Wirtschafts-Ressortchefs aus Hessen, Thüringen und Bayern zu einem Gipfel in Berlin ein, um die Probleme zu besprechen.“
Und dann folgt noch die heftige Kritik an seinem Amtsvorgänger in der vorherigen Großen Koalition Sigmar Gabriel (SPD): „Gespräche wie heute hätten schon vor fünf Jahren stattfinden müssen.“ Dafür bekommt Peter Altmaier Applaus von allen Seiten. Dabei hatten AB-Leute noch im August den Minister wegen der nicht stattgefundenen Trassenbesuche heftig kritisiert: „Versprochen – gebrochen.“
(Heinz Wraneschitz)
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