Wissenschaft

Bei Starkbierfesten infizierten sich viele Menschen mit dem Corona-Virus. (Foto: dpa/Armin Weigel)

15.12.2020

Schuld waren Starkbierfeste und Kommunalwahlen

Studie zu hohen Corona-Zahlen in Bayern bei erster Welle

Manche Werbeslogans für die Dutzenden bayerischen Starkbierfeste in der ersten Märzhälfte muten rückblickend angesichts der vielen Covid-19-Toten beinahe zynisch an. Von einer „Massen-Schluckimpfung“ war etwa in Mitterteich im Kreis Tirschenreuth die Rede. Anderswo wurde der Alkohol als das ultimative „Desinfektionsmittel“ angepriesen. Und Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger verstieg sich bei einem oberbayerischen Starkbierfest seiner Freien Wähler sogar zur Behauptung, Starkbierfeste seien „der natürliche Feind des Coronavirus“.

Das Helmholtz-Zentrum München hat den Effekt der traditionsreichen Massenbesäufnisse und möglicher anderer Infektionsherde auf den Verlauf der Pandemie in Bayern untersucht. Matthias Wjst, Experte für Lungenerkrankungen, kommt in einer jüngst in der Deutsche Medizinischen Wochenschrift publizierten Analyse zu einem eindeutigen Ergebnis: „Signifikant mehr Fälle“ seien sowohl durch die Starkbierfeste als auch durch die bayerische Kommunalwahl registriert worden, schreibt der Professor. Er geht in seiner Untersuchung von hochgerechnet rund 1200 zusätzlichen Covid-19-Ansteckungen durch die Feste aus. „In Landkreisen mit zwei oder mehr Bierfesten war der Effekt besonders groß“, sagt Wjst. Dem Forscher zufolge dürften viele Besucher das Virus in der Zeit nach den Festen kräftig weiterverbreitet haben – laut Wjst waren mehrere Tausend Infizierte die Folge.

Bayern als trauriger Spitzenreiter

Seinen Berechnungen zufolge seien zudem 3700 Fälle der bayerischen Kommunalwahl Mitte März geschuldet. Zum Vergleich: Am ersten 1. April waren laut RKI offiziell erst 16.500 Fälle im Freistaat gemeldet. Am 15. April waren dann bereits 34.000 Infizierte gemeldet – das waren gut ein Drittel mehr als in Baden-Württemberg oder NRW. Wjst sieht die Starkbierfeste und die Wahlen als entscheidende Ursachen für die damals im Bundesvergleich besonders hohen Infektionszahlen im Freistaat. Auf die Bevölkerungszahl gerechnet war Bayern in der ersten Welle trauriger Spitzenreiter – allein bis Mitte April starben über 1000 Menschen.

Wjst resümiert: „Die Skifahrer schleppten das Virus ein und die Starkbierfeste und die Wahl waren dann die großen Treiber.“ Bayern habe die negativen Folgen durch die Wahlen und Starkbierfeste auch durch seine besonders harten Eindämmungsmaßnahmen in den folgenden Wochen nicht rückgängig machen können, so der Experte.

Söder wurde gefeiert

Zur Erinnerung: Im Freistaat durften viele Alleinstehende im Frühjahr zunächst niemanden mehr treffen. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) war für seine Strategie damals gefeiert worden wie kein anderer Politiker. Doch mussten viele Bayern sich nur deshalb besonders einschränken, weil die Gefahr der Bierfeste unterschätzt wurde? Schließlich hatte man große Feiern mit viel Alkohol bereits Anfang März nach einer fatalen Karnevalsfeier im nordrhein-westfälischen Kreis Heinsberg als mögliche Virenschleudern im Verdacht. Doch in Bayern wurde in der ersten Märzhälfte noch fleißig gefeiert – im Chiemgau krachten bei einem Starkbierfest in Waging sogar noch am 13. März die Krüge.

Ein großer Teil der traditionsreichen Massenbesäufnisse fand am 7. März und am Tag darauf statt. Immerhin hatte der Freistaat am 11. März Großveranstaltungen ab 1000 Teilnehmern per Allgemeinverfügung verboten – kleinere Feste blieben zunächst jedoch noch zulässig. „Söder hätte die Landratsämter bereits Anfang März anweisen müssen, die Starkbierfeste abzusagen“, sagt Bayerns Oppositionschef Ludwig Hartmann. Er hätte die Leute vor Ort „nicht alleine mit dieser schweren Entscheidung lassen dürfen“, so der Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion. Die Staatskanzlei ließ eine Anfrage zu der Studie und der Grünen-Kritik zunächst unbeantwortet.
(Tobias Lill)

Kommentare (1)

  1. Schlawiner99 am 21.12.2020
    Ich fürchte da wird jemand in der Staatskanzlei schäumen. Wie unbotmäßig, die Starkbierfeste sowie die Kommunalwahl (letztere ein Irrsinn in einer Pandemie va die Auszählung betreffend) so deutlich zu benennen und damit das Ischgl-Narrativ, das noch heute herhalten muss, zu desavouieren. Diese Fehlentscheidungen haben wohl zu zusätzlichen Toten geführt und das des politischen Vorteils wegen. Leider.
Die Frage der Woche

Soll die Schuldenbremse gelockert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.